Der Feind schlägt wieder zu
Weiße
Zahlen auf grünem Grund, mathematische Zeichen und irgendwelche
Graphen: Sie alle wollten Emil in den Wahnsinn treiben. Davon war er
überzeugt.
Es
war mal wieder einer dieser Freitage, 7. Stunde. Aber das war ja
nicht gerade etwas Neues.
Neu
war nur, dass sich Martin irgendwann zu Emil hinüber beugte und ihm
diesmal leider keine Wochenendplanung zuflüsterte:
„Du
weißt, dass wir nächste Woche Klausur schreiben?“
Natürlich
wusste Emil das. „Welche Klausur?“
„Physik.“
„Ich
hab das Fach nicht gewählt!“
„Doch,
hast du.“
„Ich
hab's mündlich.“
Martin
schüttelte mitleidig den Kopf.
„Ich
wähl's um“, beschloss Emil kurzerhand.
„Geht
erst nächstes Halbjahr.“
Das
Herz sank Emil in die Hose. Er hatte gewusst, dass es ein Fehler
gewesen war, Physik zu wählen und ein noch viel größerer Fehler,
dabei schriftlich anzukreuzen. Aber bis jetzt hatte er es einfach
nicht geschafft, das zu ändern. Auf dem Bogen hatte er beim zweiten
Mal einfach alles so gelassen, wie es da stand. Macht der Gewohnheit
und des Zeitdrucks. Denn
Emil hatte mal wieder fast die Abgabefrist verschlafen. Eigentlich
wäre es
auf das
Gleiche hinausgelaufen, wie ihm jetzt klar war. Aber
wie hätte er das ahnen können? Damit musste er jetzt leben.
Emil
seufzte leise. „Lernst du mit mir?“, fragte er Martin
hoffnungsvoll.
„Ich
würde ja gerne ...“
„Aber?“
Martin
schwieg und Emil starrte ihn nur ungläubig an. Er konnte ihn doch
jetzt nicht im Stich lassen. Nicht jetzt. Nicht vor Physik!
„Meine
Oma hat Geburtstag“, fügte Martin zögernd hinzu. „Und wir sind
das ganze Wochenende über weg. Achtzigster
Geburtstag. Du weißt schon.“
„Montag!“
„Fußballtraining.“
„Dienstag!“
„Mittwoch
ist Klausur“, warf Martin ein.
„Egal.
Du weißt ich brauche jede Hilfe, die ich kriegen kann. Bitte!“
Martin
zuckte nur mit den Achseln. „Okay.
Dienstag hab ich Zeit.“
Emil
feierte sich selbst, als Martin hinzufügte:
„Aber“
Da war es wieder: dieses Aber. „Wenn du mich fragst, solltest du
vorher anfangen zu lernen. Vielleicht hat ja noch jemand genauso
Probleme wie du. Mit dem könntest du zusammen lernen.“
Emil
schielte unweigerlich zu seiner Linken hinüber, wo Ina saß, die ihn
seit Sonntag gekonnt ignorierte.
„Quatsch!
So meinte ich das nicht“, zischte Martin. „Das würde in einer
Katastrophe enden.“
„Wen
meinst du da...“ Doch Emil kam nicht mehr dazu, den Satz zu Ende
zubringen, als der Gong ihn übertönte.
Da
Martin nach der Stunde schnell weg musste und nur irgendwas von
„sofort losfahren“ murmelte, schlenderte Emil allein zu seinem
Fahrrad. Er dachte jetzt erstmal lieber an das Mittagessen, das zu
Hause auf ihn wartete, als an die bevorstehende Physikklausur.
Mit
dem Blick nach unten schloss
er sein Fahrrad auf.
Dann erkannte
er
plötzlich ein paar Füße ihm gegenüber. Verwundert sah Emil auf
und wich unmerklich vor Schreck zurück, als er Marie vor sich
erkannte. Er stammelte einige unverständliche Worte, riss sich dann
aber zusammen und schwieg lieber.
„Hi.“
Marie lächelte ihn an und Emil merkte wie seine Knie weich wurden.
„Hast du das gerade in Physik verstanden?“, fragte sie mit ihrer
wundervollen Stimme. Sie
blinzelte leicht und ein Lächeln umspielte ihre schmalen Lippen.
Ihre blauen Augen sahen ihn erwartungsvoll an.
Eine
lange Pause folgte, in der Emil dieses hübsche Mädchen einfach nur
anstarrte, während sein Kopf nach einer Antwort suchte. Dann sprach
sein Mund ein Füllwort aus, mit dem er seinen Satz besser nicht
hätte beginnen sollen. „Ja ...“
„Ich
kapier das überhaupt nicht.“ Sie legte den Kopf zur Seite und
sah ihn betrübt an.
Bei dem Klang ihrer Stimme hatte er schon wieder vergessen, was er
eigentlich hatte sagen wollen. „Könnten wir vielleicht am
Wochenende zusammen lernen?“
Das
überforderte Emil nun vollständig. Natürlich wollte er! Unter
allen anderen Umständen hätte er sofort ja gesagt. Aber das konnte
nicht wahr sein. Er musste träumen. Das war doch in allen Filmen so,
wenn es zu schön war, um wahr zu sein.
„Emil?“
Er
müsste jetzt etwas sagen. Irgendwas. „Ich ...“ Das war schonmal
ein besserer Satzanfang. „... habe am Wochenende noch nichts vor.“
Lügner, der Raid am Samstag.
„Samstag?“,
fragte Marie.
Nein!
Quatsch. Der
Raid war doch abends.
„Gerne.“
Emil nickte leicht.
„14
Uhr?“
„Joah.“
„Gut.
Wir sehen uns dann.“ Sie lächelte, warf
ihm noch einen kurzen Blick mit ihren unglaublich schönen Augen zu
und schloss dann ihr
Fahrrad auf, das direkt neben Emils stand. Er beobachtete sie dabei
und überlegte krampfhaft, was er dazu noch sagen sollte, als sie
auch schon fertig war und auf ihr Fahrrad stieg. Sie
hob die Hand und winkte
ihm.
„Bis
Samstag“, säuselte sie noch, bevor sie fuhr.
„Bis
Samstag“, wiederholte Emil geistesabwesend. Samstag ... das war ja
bereits morgen!
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