Kaum
zu glauben
Das
starke Kribbeln in der Nase ließ Emil laut niesen.
„Gesundheit.“
„Danke.“
„Taschentuch?“
„Nein,
danke. Geht schon.“
„Da
denkt jemand an dich.“
„Ach,
Unsinn!“ Emil kämpfte immer noch mit seiner laufenden Nase. „Hast
du vielleicht doch ein Taschentuch?“
„Ne.
Ich wollte nur höflich sein.“ Martin grinste ihn breit an.
„Na
danke ...“
~*~*~*~
Klare
Flüssigkeit benetzte ihre Lippen und holte sie zurück ins Hier und
Jetzt. Sie fühlte sich immer noch leicht benommen. Von irgendwo her
glaubte sie, dass jemand mit ihr sprach. Nur schwerfällig bewegte
sie die Lippen um zu antworten und murmelte unverständliche Worte.
Erst
der Schwall Wasser der plötzlich ihren Mund flutete, ließ sie vor
Schreck die Augen aufreißen.
„Schlucken!“
Der
Hustenreiz war so stark, dass Ina sich nach vorne beugen musste.
Keuchend und prustend spuckte sie das Wasser wieder aus.
„Zweiter
Versuch.“
Das
Wasserglas wanderte wieder zu ihrem Mund. Diesmal sah Ina auf und
blickte das Mädchen an, das ihr gegenüber saß. Sie erschrak, als
sie Sonia vor sich erkannte und wollte ihr schon das Wasserglas aus
der Hand schlagen. Nixe, Nixe, Nixe! Als diese ihre Hand nahm, ihr
schon das Glas in die Finger drückte und sie verschmitzt anlächelte:
„Tut
mir Leid, dass ich dich so überfallen haben. Aber das Wasser wird
dir gut tun.“
Ina
beäugte es misstrauisch.
„Du
musst wohl einfach eingeschlafen sein.“
„Wie
spät ist es?!“, platzte es aus Ina heraus, der der Schrecken ins
Gesicht geschrieben stand.
„Halb
vier“, antwortete Sonia gleich überrumpelt. „Morgens versteht
sich.“
Der
Raum, in dem sie sich befand, wurde von warmem, gelbem Licht
beleuchtet. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass es draußen
immer noch dunkel war. Als sie nach unten sah, bemerkte sie erst,
dass sie auf einem Bett saßen. Sie strich mit den Fingern über die
Bettdecke. Sie war weich.
„Ist
das dein Zimmer?“, fragte sie zögernd.
„Ja.
Ist gemütlich, oder?“
Ina
nickte zustimmend, bis ihr wieder einfiel, was sie zuvor gehört
hatte. Es gab nur eine Möglichkeit herauszufinden, ob Sonia wirklich
eine Nixe war. Ina streckte die Hand aus und legte sie auf Sonias
Wange, strich dann leicht darüber und begann dann zu reiben.
„Was
machst du da?“, lachte Sonia und packte Inas Hand. „Das kitzelt!“
„Keine
Schuppen ...“, murmelte Ina nachdenklich.
„Die
hat man normalerweise auch in den Haaren.“
„Isst
du gerne Fisch?“
„Schon.“
„Kannst
du unter Wasser atmen?!“
„Nein.“
„Hast
du eine Flosse?“
„Hätte
ich eine, dann müsste ich ja dauernd durch die Gegen hüpfen,
anstatt zu laufen.“
„Du
weißt also wie es ist eine Flosse zu haben!“, verkündete Ina
triumphierend.
„Sehr
gute Vorstellungskraft.“ Das Lächeln war nicht aus Sonias
Geschicht gewichen.
Es
war hoffnungslos. Sonia war einfach nicht zu überlisten. Aus ihrer
Miene konnte man nichts lesen. Gar nichts. Sie war einfach zu gut.
Ina musste sich erstmals geschlagen geben.
Sonia
war ja auch nicht wichtig, versuchte sie sich zu trösten. Lilian und
Marie waren die beiden, über die sie sich Gedanken machen sollte.
Aber wo konnten die Beiden nur stecken?
„Wo
sind Marie und Lilian?!“, rief Ina.
„Lilian
ist schon weg.“
Inas
folgende Gedankengänge waren so schnell abgehandelt, dass man sie
überhaupt nicht in Worte fassen konnte. Doch ihre Schlussfolgerung
war eindeutig:
„Ich
muss Emil warnen!“
~*~*~*~
„Wie
viel hast du nochmal an dem Abend getrunken, Ina?“ Der sarkastische
Unterton in Martins Stimme war Emil nicht entgangen. Er verstand nur
nicht, warum Martin sich so aufregte.
„Gar
nicht so viel. Glaubst du mir etwa nicht?“ Sie wedelte mit dem
Teelöffel bedrohlich in Martins Richtung.
„Lass
mich raten: Marie ist danach auf einem Besen davon geflogen?“
„Nein!“,
verteidigte sich Ina. „Man, Emil, sag doch auch etwas dazu!“
Emil,
der die ganze Zeit mit dem Strohhalm in seiner Cola gespielt hatte,
schreckte auf, als sie ihn so plötzlich ansprach. „Wozu?“
„Dass
du auf der Speisekarte stehst!“ Inas Augen waren empört geweitet.
„Marie
will mich doch gar nicht essen“, sprach Emil seinen ersten Gedanken
aus.
„Lilian!
Lilian ist der Dämon.“
Emil
sah es kommen: Gleich würde der Teelöffel sich aus Inas Hand lösen,
Martin vor die Stirn klatschen und danach würden die Beiden sich
solange anschreien, bis sie aus dem Café geworfen würden.
Doch
zu seiner Überraschung blieb der Löffel in Inas Hand und Martin
unglaublich ruhig. „Wenn das stimmt, was du sagst. Woher sollen wir
dann wissen, dass du nicht mit ihnen unter einer Decke steckst?“
Ina
starrte ihn nach dieser Anschuldigung erst einmal nur perplex an. Es
dauerte einige Sekunden, bis sie sich wieder gefangen hatte. „Würde
ich es euch dann erzählen?“
„Komm,
Ina, wir wissen beide, dass das Unsinn ist. Du willst immer in allem
Dämonen, Vampire oder Werwölfe sehen.“
„Diesmal
ist das was anderes. Ich habe es mit meinen eigenen Ohren gehört und
mit meinen Augen gesehen.“
„Was
hast du gesehen?“
„Lilian
mit diesen gruseligen grünen Augen.“
Das
war der Punkt, wo Emil plötzlich aufhorchte. „Du hast sie auch
gesehen?“, fragte er zögernd. Wie aus heiterem Himmel kehrten
diese Augen in sein Gedächtnis zurück.
„Ja.“
Ein triumphierendes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Es
war genau wie du erzählt hast. Schwarzes Haar und leuchtend grüne
Augen. Ein Wesen der Dunkelheit.“ Sie beendete den Satz
theatralisch flüsternd.
„Sah
Marie auch so aus?“, fragte Emil neugierig geworden.
„Keine
Ahnung, die habe ich nicht gesehen.“
Enttäuscht
prustend ließ Emil sich zurück in seinen Sessel fallen. „Dann sag
mir wenigstens, warum Marie es angeblich auch auf mich abgesehen
hat.“
„Sie
will dir die Seele aussaugen.“
„Ich
habe also die Wahl ohne Seele weiter zu leben oder Dämonenfutter zu
werden?“, erwiderte Emil lächelnd. Und Inas Reaktion ließ ihn
langsam verstehen, was Martin daran fand, sie auf die Palme zu
bringen.
„Nein!
Deshalb bin ich doch da!“, rief sie und Emil konnte dabei zusehen,
wie ihr Gehirn verzweifelt nach einem weiteren Überzeugungsgrund
suchte.
„Faszinierend,
oder?“, scherzte Martin, als hätte er Emils Gedanken gelesen.
Beide
grinsten sich an, als plötzlich der Löffel nur knapp an ihren
Köpfen vorbei schoss und klirrend auf dem Boden landete.
„Ich
werde es euch beweisen!“ Abrupt stand Ina auf, packte ihre Jacke
und wandte sich zum Gehen. „Und wehe, Emil, du lässt dich bis
dahin umbringen!“ Dann rauschte sie einfach so aus dem Café.
Emil
und Martin tauschten nur verwirrte Blicke aus.
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