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Feuer zu Asche, Asche zu Staub

Es war ein Tag im Spätsommer. Die strahlende Sonne stand bereits tief im Westen über den grünen Hügeln rund um die Stadt Liana. Es würde nicht lange dauern bis die goldene Scheibe in dunkles Rot getaucht hinter den Hügeln verschwinden und damit all die Hitze des Sommertages mit sich nehmen würde.
Stolzen Schrittes passierte eine junge Frau mit aschbraunen Locken das innere Stadttor, dessen hohe Türme tiefe Schatten auf die gepflasterte Straße warfen. Es waren alte Befestigungstürme, die sich rund um die innere massive Stadtmauer zogen. Innerhalb der Mauern befand sich der alte Stadtkern. Vor einigen Jahrzehnten war Liana nicht viel größer als diese Befestigung gewesen, doch seit keine Kriege mehr im Süden Luriens geführt wurden, hatten sich immer mehr Menschen um die Mauern der Stadt angesiedelt, sodass die Stadt innerhalb einiger Jahrzehnte um ein vielfaches gewachsen war. Ein zweiter weniger befestigter Verteidigungsring umzog die Stadt, bevor sich die Häuser in der weiten Ebene und auf den Hügeln herum verloren.
Die Straße, die die junge Frau beschritt, führte den befestigsten der umliegenden Hügel hinauf. Hier befand sich das Viertel der wohlhabenden Händler und Kaufleute. An den Seiten reihten sich hohe Wohnhäuser in deren untersten Etage sich kleine Läden befanden. Für den frühen Abend waren noch ungewöhnlich viele Menschen auf den Straßen.

Als sie eine kleine Gruppe von tratschenden Frauen passierte, verstummten diese in ihrem Gespräch und wichen zur Seite. Ein zufriedenes Lächeln zog über ihr Gesicht und ihre Rückenmuskeln spannten sich nur noch mehr an. Aufrechten Schrittes ging sie weiter. Auch wenn sie die Blicke der Leute nicht sehen konnte, spürte sie diese jedoch genau in ihrem Nacken und es belustigte sie. Sie genoss es einfach; diese Mischung aus Argwohn und Bewunderung, die in ihren stierenden Blicken lag.
Ihr ganzer Körper stand unter solch einer Spannung, dass sie das Gefühl hatte jede Faser des Stoffes zu fühlen den sie trug. Er kam ihr vor wie ein Fremdkörper auf ihrer Haut, doch sie trug diese Kleid, da es genau das bewirkte, was sie wollte. Die Leute liebten und hassten sie. Über die Ehrfurcht, die sie ihr entgegen brachten konnte sie nur lachen. Wie konnte man jemanden verehren, der grundlos einen höheren Rang besaß, als man selbst? Menschen konnten so heuchlerisch sein. Sie wussten doch überhaupt nicht, was sie taten. Die Leute sollten ihr lieber verächtliche Blicke zuwerfen, denn nur sie spiegelten wieder, was sie wirklich dachten. Sie war eine Wächterin, eine die sich im Ruhm wälzen konnte, weil sie anders war als die Anderen. Weil sie durch ihre einzigarigen magischen Fähigkeiten an einen höheren Rang gekommen war, den kein anderer jemals erreichen konnte. Sie war eine Magierin und im Innersten verabscheute sie den Rang der ihr dadurch zu teil geworden war.
Gerade deshalb schritt sie nun in ihrem Wächtergewand durch die Straßen. Sollten die Leute nur starren und erkennen, was für ein Schauspiel das ganze System doch war. Der Schleier der Religion, unter dem sich das ganze versteckte, würde bald zerbrechen. Es war ohnehin niemals wirklich religiös gewesen. Die Prinzessin war kein Medium einer neuen Göttin, noch eine Adelige. Sie war lediglich ein magiebegabtes Mädchen, das nun nach der Absetzung des Königs und Kriegsherrn, nach außen hin Liana vertreten sollte, während die Macht des Königs an einen vom Ratsherrn kontrollierten Rat übergegangen war.
Auch die Bildung dieses Parlaments, indem alle Stadtstaaten des Südens und auch Liana vertreten sein sollten, würde an dem Irrsinn nichts ändern können. Bald würde das alles ein Ende haben, da war sie sich sicher.
Sie beschleunigte ihren Schritt. Der weite Stoff an ihrem Oberkörper begann hin und her zu wippen. Ärgerlich sah sie an sich herunter. Das beige Kleid trug sie nun bereits seit mehreren Jahren, doch oben herum war es ihr immer noch zu weit. Damals hatte man ihr gesagt ihre Brüste würden nun schon noch wachsen. Sie war jedoch lediglich in die Höhe geschossen und der Stoff hing immer noch schlaff an ihrer Brust herunter, bevor er sich in dem Gürtel um ihre Taille verlor. Die Rüschen machten es nicht gerade besser. Es war ein Witz, dieses Kleid ein Gewand zu nennen. Es sollte nur den Reichtum Isonas unterstreichen. Das prunkvolle Schloss auf dem Hügel passte hervorragend dazu.
Sie blickte nun direkt auf das lang gezogene Gebäude, das sich am Ende der Straße vor ihr auftat. Die weiße und übermäßig großzügige Fensterfront, die nur ab und an von prunkvollen Säulen unterbrochen wurde, machte es deutlich. Es war ein Manifest des Überflusses.
Die Straße verlief sich auf dem weitläufigen Platz vor der Befestigung des Schlosses, deren hohe Mauern die prunkvollen Gärten mit den schönsten und seltenstem blühenden Bäumen und Sträuchern dahinter verdeckten. Diese Mauern waren nicht zum Schutz des Schlosses errichtet worden, da sie einem feindlichen Angriff nicht standhalten würden. Jedoch hielten sie den Pöbel draußen und das Gesindel, dass sich tagtäglich auf dem Platz herum trieb.
In Liana herrschte in jüngster Zeit Angst vor einem erneuten Kriegen mit Isona aufgrund von politischen Differenzen. Die beiden Stadtstaaten waren Erzfeinde, ewige Rivalen um militärische Macht. Jedoch war Liana zur Ruhe gekommen, hatte durch den Regierungswechsel das stehende Heer verkleinert und war seitdem auch nicht mehr in einen Krieg verwickelt gewesen. Doch nur die große Entfernung der beiden Städte voneinander hatte bis jetzt kriegerische Auseinandersetzungen verhindert. Verhandlungen zwischen den beiden Parteien brachten bis heute weder Gewinner noch Verlierer hervor.
Sie verlangsamte ihren Schritt und blieb in dem Getümmel der Leute stehen, die den Platz passierten. Eine schwarze Kapuze war ihr ins Auge gefallen. Keiner schien denjenigen, der sie trug besonders zu beachten. Doch ihrem verschärften Blick, war er nicht entgangen. Er verschmolz scheinbar mit dem Strom der vorbei schlendernden Menschen. Beinahe fürchtete sie, ihn aus den Augen zu verlieren, wenn sie nur blinzeln würde.
Es musste ein Schattenmagier sein, vermutete sie, keiner sonst könnte so mit seiner Umgebung verschmelzen. Sie meinte sogar zu wissen, was er hier wollte. Unbeirrt trat sie an ihn heran.
„Grübeln Sie darüber nach, wie sie dort hinein kommen?“, fragte sie mit einem scherzenden Unterton, doch zu ihrer Überraschung antwortete der schwarz Gekleidete ihr nicht. Sie wiederholte ihre Frage energischer, doch die Person vor ihr blieb regungslos.
Verärgert griffen ihre Finger nach der Kapuze und riss sie von dem Kopf herunter. Schwarzes kurz geschnittenes Haar kam zum Vorschein. Es war das Haar eines Soldaten.
„Hören sie schlecht?“, fuhr sie ihn an und machte einen Schritt vor ihn, um ihm ins Gesicht zu sehen.
Er war nicht das, was sie erwartet hatte. Seine Wangen waren hager und eingefallen, die Nase krumm von mehreren Brüchen. Selbst seine Augen, so dunkel und leer wie sie an ihr vorbei sahen, zeigten, dass sie einem Krieger gegenüberstand, vermutlich einem Söldner, der von Isona geschickt wurde.
Er war sicher gewandt in Kriegsgeschick und ein Schattenmagier dazu. So jemandem war sie noch nie begegnet, aber dieser ungewöhnliche Anblick, löste ihre angespannte Miene und verwandelte sie in ein zufriedenes Lächeln.
„Lächerliche Befestigung, nicht?“ Es war als wolle der Mann sie bloßstellen, als er erneut nicht antwortete, doch sie ließ sich nicht beirren. „Wenn sie darein wollen, sollten sie nicht zögern. Es ist ein Gerücht, dass die Wachen Magier sind. Einfache Wachleute.“ Sie deute zu den beiden Männern in den glänzenden Rüstungen am Tor der Mauer gegenüber. „Nur billige Zierde. Aber Sie sollten sich trotzdem in Acht nehmen. Die Wächter innen sind mächtige Magier. Ich hoffe Sie haben damit gerechnet.“
Sie trat einige Schritte vor und warf ihm einen überlegenen Blick zu. „Ich werde sie nicht daran hindern. Es wurde ohnehin Zeit, dass jemand dieses Gebilde in Schutt und Asche legt.“
Das Gesicht des Mannes regte sich nicht. Er schien direkt durch sie hindurch zu sehen, jedoch meinte sie einen Glanz in seinen Augen zu erkennen. Er hatte sie genau verstanden. Sie würde ihn nicht verraten. Die anderen Wächter würden einigen Ärger mit ihm haben. Schattenmagier beherrschten jede Menge fieser Tricks im Kampf. Vielleicht schaffte er es sogar ein oder zwei Wächter zu töten.
Kichernd wandte sie sich von ihm ab und schritt zum Tor hinüber. Es würde eine interessante Nacht werden, das wusste sie. Das war ihre Chance.

Ihre raschen Schritte hallten in dem weitläufigen Fenstergang wieder. Unheimlich vervielfältigte sich das Echo und erfüllte den Raum um sie herum. Das Licht der tief stehenden Sonne tauchte den Gang in orange-gelbes Licht. Vor den Fenstern viel der Hügel in die Gärten hinab, hinter denen sich die weite Ebene von Liana auftat. Doch so atemberaubend wie die Leute diesen Ausblick empfinden würden, als so nichtig erachtete sie ihn. Und so sparte sie es sich, noch einen Blick aus dem Fenster zu werfen, bog in den dunklen Gang ab und betrat das Zimmer an seinem Ende.
Als sie eintrat war sie noch unsicher, doch als sie dann die dunkelblonden, langen Haare der Person sah, die an dem kleinen Tisch im Raum saß, wusste sie, dass sie richtig vermutet hatte. Die Tür fiel krachend hinter ihr ins Schloss und die Person sah erschrocken auf. Die braunen großen Augen in ihrem rundlichen Gesicht sahen sie verschreckt an. Doch dann entspannte sich ihre Miene wieder und sie begann zu lächeln. „Das war nicht sehr nett von dir, Sofynne. Mich so zu erschrecken. Ich dachte schon, es sei einer der Anderen.“
Sofynne erwiderte ihr Lächeln und trat auf sie zu. Vorsichtig umschlangen ihre Arme die zarten Schultern. Ein angenehmer Geruch von den verschiedensten Blüten ging von ihr aus. Die Lippen der beiden berührten sich nur für einen kurzen Moment, denn Sofynne fürchtete, jemand könnte herein platzen. Der Blick des Mädchens fixierte sie. Sie war zweifelsohne die hübscheste Frau, die Sofynne je kennen gelernt hatte.
„Ihr solltet nicht hier sein Prinzessin“, flüsterte Sofynne, aber das Mädchen legte ihre Hände auf Sofynnes Wangen und zog sie zu einem erneuten Kuss zu sich heran.
Sofynne erschauderte als sie ihre Zunge an der ihrigen spürte. Der Kuss war so sanft, dass sie beinahe darin versunken wäre. Ihre Hände wanderten vorsichtig über die schmalen Schultern der Prinzessin und schlossen sich dann energisch um ihre Arme. Sofynne zog das sanfte Wesen näher an sich heran. Doch ihre Vernunft war stärker, als jede Lust, die sie in dem Moment empfand und nur widerwillig schob sie ihren Kopf  zurück.
Die Prinzessin sank enttäuscht zurück auf ihren Stuhl. Stillschweigend wandte sie den Blick zum Fenster ab und begann sich mit den Fingern durch ihr langes Haar zu streichen.
Sofynnes Blick wanderte über den fließenden weißen Stoff des Kleides, das sie trug und den Ausschnitt, der ihre zierlichen Schultern frei ließ. „Warum trägst du dieses Kleid?“ In ihrer Stimme schwang Missbehagen mit.
„Findest du es unangebracht?“, fragte das Mädchen zögernd.
„Nein, das meine ich nicht! Du siehst toll darin aus.“ Erleichtert stellte Sofynne fest, dass die Prinzessin dankend zu ihr hinüber sah.
„Sie glauben also, dass er in den nächsten Tagen vorbei kommen wird?“, fragte Sofynne und setzte sich auf den Tisch neben sie.
„Aren? Er wird sicher einen Boten schicken.“
„Er wird sich hoffentlich nie wieder hier blicken lassen.“ Sie zögerte nur einen Moment bevor sie weiter sprach. „Du willst ihn doch nicht wirklich heiraten?“ In ihrer Stimme schwang keinerlei Emotion mit, doch ihre Fingernägel krallten sich in das Holz des Tisches. Sie fühlte sich mit einem Mal so leer, jetzt wo sie daran erinnert wurde.
„Er ist ein ehrbarer Mann“ Die Stimme der Prinzessin zitterte, genau wie ihre Hände, die immer noch durch das Haar kämmten. Auf und ab fuhr ihre Hand. Sofynne beobachteten sie dabei, bis der Druck ihr bis zur Kehle stieg und sie die zitternde Hand packte.
„Sag so etwas nicht wenn du es nicht ernst meinst!“ Das Mädchen starrte sie erstaunt an. „Ich habe dir doch schon gesagt. Solange ich da bin, wird er dir nicht noch einmal zu nahe kommen. Bald wird alles vorbei sein. Vielleicht sogar schon heute Nacht. “
Sofynne spürte, wie die Prinzessin ihre Hand umschloss. „Ich will dir wirklich glauben. Aber was soll ich tun?“ Ihre Augen glänzten erwartungsvoll.
Sofynne beugte sich zu ihr hinüber. „Macht euch keine Gedanken, Prinzessin“, flüsterte sie. „Ich weiß...“
„Nenn mich nicht so!“, fuhr sie ihr ins Wort und stieß sie von sich, doch ihre Hand ließ sie nicht los. „Du bist nicht wie sie, als hör auf so zu reden.“
„Dann musst du auch damit aufhören.“ Ein zögerndes Lächeln trat auf Sofynnes Gesicht, doch sie erwiderte es nicht.
„Sie werden sicherlich gleich kommen. Wieder eines dieser Festmähler.“ Ein lauter Seufzer entfuhr ihrer Kehle. „Ich ertrage das nicht länger. Ich bin keine Puppe in einem Puppenhaus. Sie können nicht das mit mir machen, was sie wollen.“
Sofynne war es als spürte sie die Verzweiflung der Prinzessin am eigenen Leib. Dieses leere Gefühl in ihrem Inneren, hatten die beiden bereits in all den Jahren geteilt. Sofynne wusste, wie sie sich fühlte und der blanke Hass begann erneut in ihr zu brodeln.
„Heute Nacht werden sie bekommen, was sie verdienen“, flüsterte Sofynne verbittert. Die Zunge lag schwer in ihrem Mund. Doch als sie den Blick der Prinzessin traf, erstarrte sie augenblicklich.
Ihre Augen funkelten mit einer Begeisterung, die Sofynne lange nicht mehr bei ihr gesehen hatte. Gleichzeitig begann sie jedoch daran zu zweifeln, ob der Schattenmagier es wirklich bis ins Schloss hinein schaffen würde.
Erst die wirren rufenden Stimmen, die von außen in das Zimmer hineindrangen, ließen ihren Hoffnungen aufflammen. Sofynne wandte den Blick zur Tür und lauschte. Für einen Moment stand sie still da, dann löse sie sich von der Hand der Prinzessin, doch diese hielt sie fest.
„Was ist da los, Sofynne?“ Der Blick der Prinzessin wurde wieder unruhig. Die Stimmen wurden lauter und hallten in den weiträumigen Gängen wieder, sodass ein beängstigendes Wirrwarr anschwoll.
„Warte hier.“ Ungeduldig löste Sofynne ihre Hand aus ihrem Griff. Er hatte es geschafft. Er musste es einfach geschafft haben. Das war ihre Chance. Sie musste sich nur noch von der Lage ein Bild machen, dann würde sie sich aus dem Staub machen. Die Tür fiel krachend hinter ihr ins Schloss.
Ihr Herz raste vor Freunde, die Anspannung floss durch ihren Glieder. Sie rannte. Der Hall ihrer Tritte vermischte sich mit dem Stimmwirrwarr. Es war wie Trommeln, die in ihren Ohren dröhnten. Beinahe glaubte sie ihre Brust würde vor Aufregung zerspringen, als mit einem Mal ihr Herz einen Schlag aussetzte und ihre Glieder erstarrten.
Die Fensterfront gab den Blick auf die Ebene frei, die sich in ein rot glühendes Flammenmeer verwandelt hatte. Einige Sekunden lang konnte Sofynne sich nicht rühren, bis ihr Körper sich wieder entspannte. Feuer stellte keinerlei Bedrohung für sie da, denn die Flammen gehorchten ihr seit Kindertagen. Nicht umsonst nannte man sie eine Feuermagierin.
Das Glühen im Tal wurde immer heller und das rauschende Geräusch des Feuers schwoll immer mehr an. Getrieben und verstärkt durch Winde fraß sich die Feuersbrunst in einem Tempo den Weg hinauf, dass es nur einige weitere Sekunden dauern würde, bis die Welle sie erreicht hatte. Es war wie ein Dämon, der sich von den trockenen Pflanzen und Gräsern nährte. Das musste die Hölle sein.
Sofynne erhob ihre Hände und ein überlegendes Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
Ein Gedanke und das Feuer würde ihre gehorchen, so einfach war es.
Sie konzentrierte sich, richtete ihren Geist vollständig auf das Feuer. Doch etwas war anders.
So sehr sie es versuchte, die Flammen folgten ihr nicht und rannten weiter unbehelligt auf das Schloss zu. Verzweifelt schrie sie auf. Sie war die einzige Feuermagierin in Liana. Sie musste sie doch kontrollieren können. Es war nicht möglich, dass sie von einem anderen Willen geleitet wurden.
Unter ohrenbetäubendem Klirren zerbarsten die riesigen Fenster unter der Hitze der Flammenwand. Gerade noch rechtzeitig konnte Sofynne ihre Kräfte auf ihre eigene Magie lenken. Die Scherben die auf sie zuschossen schmolzen in einem Bruchteil einer Sekunde und verdampften. Getrieben von ihrer Wut, die in ihren Schläfen pulsierte, rauschte ihre erschaffenen blass blauen Flammenwand wie ein Schutzschild vor ihr. Ein lauter Schrei entfuhr ihrer Kehle als rotes auf blaues Feuer trafen. Ihr ganzer Körper ächzte unter der Anstrengung ihre Magie aufrecht zu erhalten.
Mit aller Kraft drückte sie die Flammenwand mit ihrer eigenen zurück. Sie zitterte am ganzen Leib. Zum ersten Mal in ihrem Leben fürchtete sie das Feuer, denn aus irgendeinem Grund konnte sie es nicht kontrollieren. Nur ihr eigenes gehorchte noch ihren Gedanken. Es gab dafür nur eine Erklärung, jemand trieb das Feuer voran. Und dieser jemand musste ein mächtiger Magier sein.
Die Feuerwelle brach in einem Schwall über ihr ein. Sofynne Flammen breiteten sich zu einer Kugel um sie herum aus. Die orangefarbenen Flammen prallten zischend daran ab.
Verbittert biss sie sich auf die Lippe, bis sie Blut schmeckte. Es war das erste Mal, dass sie einem anderem Feuermagier gegenüber trat und dass er ihr auch noch überlegen war, ließ sie vor Zorn kochen.
Noch bevor sie überlegen konnte wie sie aus dieser misslichen Lage wieder heraus kommen würde, erfüllte ein ihr vertrautes Geräusch die Luft. Tosend und schäumend schossen Wassermassen den Gang entlang und vergruben die Flammen, aber auch Sofynne unter ihnen.
Durchnässt und triefend stand Sofynne da, als die Wassermassen sich verliefen. Ihre Flammen waren unter den Wassermassen erloschen, doch hatte sie sie von der Wucht der Aufprallenden Welle  weitgehend geschützt.
Sie hörte das Platschen von Wasser, Schritte die auf sie zukamen. Ihr Blick wanderte den Gang hinunter. Zwei Wächter eilten in ihren Richtung und riefen ihren Namen.
Rahel erschuf im Laufen eine Wasserwand, die das Feuer kurzzeitig zurück halten würde, während Katresa sich an Sofynne wandte: „Ein Glück, dass es dir gut geht.“ Ein erleichtertes Lächeln zog über ihr Gesicht.
„Ich bin in Ordnung“, murmelte Sofynne tonlos, bevor sie ihren Blick abwandte hinaus in das Flammenmeer, das hinter dem sprudelnden Wasser tobte. Die geballte Macht des Feuers lag dahinter und es war nicht in ihrer Hand, es war das Werk dieses Bastards. Ihre Fingernägel krallten sich in ihre Handflächen.
„Weißt du wo die Prinzessin ist?“, fragte Katresa und Unruhe schwang in ihrer Stimme mit. „Wir können sie nirgends finden.“
„Katresa?“, rief Rahel und drehte sich zu ihnen. „Ich kümmere mich um die Fensterfront, durchsucht den Flügel.“
Sofynne wandte sich langsam zu ihnen. Ihre Augen verrieten nichts von dem was sich in ihrem Kopf abspielte. „Wo sind die anderen?“, fragte sie mit ruhiger Stimme.
Mit gesenktem Blick schüttelte Katresa den Kopf und als sie wieder aufblickte, versteiften sich ihre Gesichtszüge. „Die Prinzessin ist jetzt wichtiger. Weißt du wo sie ist? Ist sie in Sicherheit?“
„Ich weiß es nicht. Ich kann sie aber suchen, wenn du willst.“
Sofynne spürte wie ihr Herz ihr zur Kehle pochte, als ein angsterfüllter Schrei durch den Gang hallte. Elektrisiert wandten sich Katresa und Rahel um.
Schnell stellte Sofynne fest, dass der Schrei nicht aus der Richtung der Kammer gekommen war, in der die Prinzessin auf sie wartet.
Katresa eilte bereits dem Schrei nach den Gang hinunter. Die Wasserwand, die Rahel aufrecht erhalten hatte prasselte auf das Feuer vor den Fenster nieder und erstickte es fürs Erste. Wenige Sekunden später spürte Sofynne seine Hand auf ihrer Schulter. „Beeil dich“, raunte er ihr zu.
Er ließ Sofynne alleine zurück, welche noch einen Blick auf den rauchenden Boden warf, wo gerade noch die Flammen gewütet hatten. Als sie einatmete spürte sie die Asche in der Luft und merkte wie der Hustenreiz einsetzte. Doch das war jetzt alles nicht mehr wichtig.
Heute Nacht würde sie mit der Prinzessin flüchten, während die Anderen bei dem Versuch sie zu beschützen, ihr Leben verlieren würden.
Eine Hand legte sich von hinten um Sofynnes Handgelenk. Schlagartig wandte sie sich um und blickte sogleich in die braunen Augen, die sie belustigt ansahen. Die Genugtuung in dem verschmitzten Lächeln auf ihrem Gesicht entging Sofynne nicht. Der Schreck ließ langsam nach und sie zog die Luft in einem langen Zug ein, bevor sie den Mund öffnete, um etwas zu sagen, doch die Prinzessin kam ihr zuvor:
„Was machst du hier? Ich habe jemand schreien gehört. Geht es dir gut?“ Ihre Finger schlossen sich nun um Sofynnes Arm. „Was ist hier passiert?“, fragte sie besorgt und ließ den Blick schweifen.
Die Prinzessin erstarrte für einen kurzen Moment, als ihr Blick hinunter ins Tal fiel, wo die Flammen weiterhin wüteten.
Als sich ihre Blicke wieder trafen, meinte Sofynne Tränen in ihren Augen erkennen zu können. Doch diese verschwanden wieder, bevor Sofynne sich ihrer sicher sein konnte.
„Es tut mir Leid, dass ich dich erschreckt habe.“ Sofynne spürte wie die Hand der Prinzessin ihren Arm hinauffuhr und erschauderte. „Ich wollte schauen, was los war.“
„Spiel mir nichts vor. Du spürst ihn, oder?“ Sie packte die Hand der Prinzessin und hielt sie fest.
„Nein, nur seine Magie...“ Die Stimme des Prinzessin war nicht mehr als ein Flüstern.
„Kannst du sie benutzen?“, fragte Sofynne erwartungsvoll.
Doch die Prinzessin schüttelte nur den Kopf. „Nein, aber...“ Mit einem Mal begannen ihre Augen in ihren Höhlen unruhig zu zucken. Als ihre braunen Augen wieder zur Ruhe kamen, waren diese vor Schreck geöffnet. „Er...“ Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Schreie und das ohrenbetäubende Rauschen von Feuer erfüllten plötzlich die Luft.
Instinktiv schnellte Sofynne freie Hand nach vorne. Zischend prallten die Flammen an der unsichtbaren Wand ab, die ihre Feuer vor ihnen bildete. Überrascht von der plötzlichen Leichtigkeit mit der sie die Flammen abwehrte, wandte sie ihren Blick zur Seite. Die Prinzessin hatte es ihr gleich getan und wirkte nun eine Kopie von Sofynnes Zauber gegen die Flammen.
Sofynne spürte dass sie Finger der Prinzessin sich fester um ihre andere Hand schlossen und sie glaubte fast ein Lächeln über das Gesicht der Prinzessin huschen zu sehen.
Innerhalb weniger Sekunden schwoll der Druck, der auf ihre Handfläche wirkte, schmerzhaft an. Sie spürte, wie die beißenden Flammen sich in ihre Haut fraßen. Doch es war nicht der eigene Schmerz, sondern die Angst, um die Prinzessin, die sie aufschreien ließ.
Es gab ihrer Magie den letzten Schub um die Flammen von sich zu drücken. Doch Sofynne wusste, dass der Triumph nur kurz anhalten würde. „Wir müssen hier weg!“, rief sie.
„Aber wohin?“ Die Stimme der Prinzessin war unheimlich ruhig.
Nur für einen kurzen Moment überlegte Sofynne der Prinzessin von Katresa zu erzählen, die auf der Suche nach ihr war. „Raus aus dem Schloss. Wir können den Anderen eh nicht mehr helfen!“ Vielleicht stimmte das sogar bereits.
Das Nicken der Prinzessin bestätigte Sofynne in ihrem Plan und sie fasste ihre Hand. Sie führte die Prinzessin hinunter in die unterirdischen Gänge unter dem Schloss. Katresa und die anderen würden ihnen hoffentlich lange genug den Rücken freihalten.

Den Hügel hinter dem Schloss durchzog ein verwinkeltes, enges Tunnelsystem, dass im letzten Jahrhundert zum Schutz des Königs und zur Verteidigung des militärisch ungünstig gelegenen Stadt erbaut worden war. Es war ein Labyrinth, dessen Gängen in alle Richtungen führten und sich dann wieder in Schächten und Sackgassen verliefen. Ohne den Weg zu kennen, war es fast unmöglich, wieder heraus zu finden.
Sofynne hatte diesen Dachsbau nur einmal betreten. Damals war sie erst neun Jahre alt gewesen und gerade in den Rang einer Wächterin erhoben worden, doch der Gestank der abgestandenen Luft und die undurchdringliche Dunkelheit hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt, genau wie der Weg, den sie sich einst im Geheimen angeeignet hatte.
In dem schmalen Gang tastete Sofynne die kalten, bröckeligen Wände entlang. Das Feuer in ihrer anderen Hand blendete so stark, dass sie kaum den Weg vor sich erkennen konnte. Sofynne drehte sich zu der Prinzessin um, um zu sehen ob sie folgte. Das Licht des Feuers erhellte das runde Gesicht. Ein Lächeln zog darüber, welches Sofynne erwiderte.
Sie wusste, dass die Prinzessin das gleiche wie sie dachte. Wenn sie hier raus waren, würde der Zwang der letzten Jahre ein für alle mal von ihnen abfallen. Sie würden frei sein, frei von allen Regeln und Pflichten.
Sofynne hielt inne, als die Wand zu ihrer rechten endete und sich der Weg vor ihnen gabelte. Sie merkte, wie die Prinzessin nach ihrer Hand griff und diese leicht drückte.
Das Bild der Karte tauchte wieder vor Sofynnes innerem Auge auf. Nach kurzer Überlegung führte sie die Prinzessin den linken Gang hinunter.
„Bist du dir sicher mit dem Weg?“, fragte die Prinzessin zögernd.
„Natürlich“, antwortete Sofynne nur kurz, dann schwiegen die beiden für einen Moment, bis die Prinzessin die Stille durchbrach: „Was machen wir, wenn wir hier raus sind?“ Sofynne bemerkte die Unsicherheit in ihrer Stimme.
„Wir verschwinden. Gehen irgendwo in die Wälder, bis der ganze Wirbel hier vorbei ist. Und dann...“ Sie war noch nicht geendet, da unterbrach sie die Prinzessin schwärmend:
„Reisen wir nach Süden. Zur Küste! Zu den Ruinen von Ethaka! Dort gibt es Sand soweit das Augen reicht. Und das Meer, Wasser, jede Menge Wasser!“
„Ja... Wasser...“, murmelte Sofynne. Sie sah das Bild, das sie aus Büchern kannte, vor sich und sie konnte einfach nicht so viel Begeisterung dafür aufbringen, wie die Prinzessin es tat.
„Oh entschuldige. Du magst Wasser ja nicht. Verständlich als Feuermagierin...“
„Nein. Ich mag Wasser schon...“, antwortete Sofynne zögerlich. „Wenn du es sehen willst.“
Aus irgendeinem Grund fing die Prinzessin an zu kichern und ein breites Grinsen blieb auf ihrem Gesicht zurück, dass auch Sofynne ein Lächeln auf die Lippen zauberte.
Der Weg zu ihren Füßen wurden zunehmend schmaler. Einiges Geröll war von den Wänden herunter gekommen und hatte dadurch den Gang nach beiden Seiten verengt. Sie mussten auf ihre Schritte achten; dass sie die Füße richtig setzten, was in dem blendenden Licht der Flammen nicht so einfach war.
In der Stille lauschte Sofynne dem Knirschen der Steine unter ihren Füßen, doch bemerkte sie andere, dumpfe Geräusche, die von weiter weg zu kommen schienen.
„Du musst Wasser ja auch nicht mögen. Nahe der Küste gibt es noch so viele an-“
Sofynne war stehen geblieben und hatte den Finger auf die Lippen der Prinzessin gelegt. In der Stille hörte sie die Geräusche wieder. Es waren Schritte und sie kamen näher.
„Sie sind uns gefolgt. Wir müssen schnell weiter“, hauchte sie und löschte ihre Flamme.
Sie beschleunigte ihre Schritte, während ihr Herz schmerzhaft zu rasen begann. Es war schon schwer genug gewesen unter einfacheren Bedingungen auf dem schmalen Pfad vorwärts zu kommen, doch in der Dunkelheit zu rennen, war schier ein Ding der Unmöglichkeit. Immer wieder rutschten ihre Füße von den glatten Steinen ab und sie wäre beinahe umgeknickt, hätte sie sich nicht an den Wänden abgestützt. Der Prinzessin ging es wahrscheinlich genauso, nur ab und an lauschte Sofynne, ob die Prinzessin ihr noch folgte. Warum nur waren die Anderen ihnen bis hier unter gefolgt? Warum waren sie nicht mehr im Schloss?
Dann wurde es ihr schlagartig klar. Die Katakombe befand sich hier unten. Ein befestigter Hohlraum der einen Teil der größten Schätze Lianas enthielt: das kulturelle und geistliche Erbe der Stadt. Zu Kriegszeiten diente er damals auch dem König als Rückzugsraum.
Das Tunnelsystem war so hellhörig, dass sie sie aus weiter Ferne hören konnten. Wie konnten sie nur entkommen?
Verzweifelt grübelte Sofynne über eine Möglichkeit, ihre Verfolger doch noch abhängen zu können, als sie plötzlich mit einem Schlag nach vorne geschleudert wurde. Sie stürzte zu Boden und schürfte sich Knie und Handflächen auf, doch das realisierte sie kaum. Steinbrocken und dicker Staub rieselten auf sie herab und ein ohrenbetäubendes Donnern fuhr direkt hinter ihr nieder. Binnen weniger Sekunden war alles vorbei.
Zitternd drückte Sofynne sich vom Boden hoch und ein kleines Feuer entflammte in ihrer Hand. Zögernd wandte sie sich um.
Es drehte ihr schmerzhaft den Magen um und ihr Hals schnürte sich zu als ihr Blick auf die Wand aus losen Steinen und Geröll fiel, die den Weg versperrte, den sie gerade gekommen war.
Sie versuchte Luft zu holen, doch es gelang ihr kaum. Wo war die Prinzessin? Was war geschehen?
Mit der noch verbliebenen Luft begann sie nach den Prinzessin zu rufen. Doch als sie keine Antwort bekam wurden ihre Rufe panischer. Ihr ganzer Körper zitterte schmerzhaft und sie spürte langsam, wie warmes Blut ihre geschürften Handflächen und Knie hinunter rang. Doch sie rief nur ihren Namen, immer und immer wieder.
„Prinzessin!“ Keuchend musste sie abbrechen. Ihre Hals war trocken und schmerzte bei jedem Atemzug. „Na'ele!“, schrie Sofynne ein letzte Mal mit aller Kraft, doch ihre Stimme hallte nur einsam an den Wänden wieder.
In der tiefen Stille, die darauf folgte, hörte Sofynne nur noch ihren eigenen Atem und spürte, wie ihre Brust sich langsam hob und senkte. Sie wusste, dass sie etwas tun musste.
Unbeholfen rappelte sie sich vom Boden auf und begann wie im Wahn mit bloßen Händen die Steine aus dem Weg zu räumen. Doch die Steine rollten schneller von oben nach, als dass sie sie wegschaffen konnte. „Na'ele!“, rief sie erneut in die Stille hinein. Der Dreck auf ihren Handflächen brannte und sie starrte starr auf die Wand vor sich. Es war unmöglich hindurch zu kommen. So konnte sie es niemals schaffen.
Ein leises Zischen durchzog die Stille. Erschrocken stellte sie fest, dass Wasser aus den Ritzen der Wand quoll und die Flammen in ihrer Hand erstickten. Sie zog die Hände zurück, als sie die Dunkelheit bereits umfing. Irritiert verharrte sie einen Moment, als der Boden plötzlich zu vibrieren begann. Instinktiv wich sie hastig einige Schritte zurück.
Dann ging alles sehr schnell. Die Wand zerbarst mit einem ohrenbetäubend Knall und helles Licht durchflutete die Dunkelheit.
Sofynne erkannte im Gegenlicht vier menschliche Silhouetten. Schnell bemerkte sie, dass die Prinzessin nicht dabei war und ihr Blick wanderte hektisch umher, bis sie erstarrte, als sie die zusammen gekrümmte Gestalt zu ihren Füßen erblickte.
„Nein...“, flüsterte sie und sank auf die Knie. Der Anblick ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren und sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Das blonde Haar grau von Dreck, verdeckte das Gesicht der Prinzessin. Sofynne strich es mit zitternder Hand zur Seite.
Na'ele. Die Augen der Prinzessin waren geschlossen, ihr Gesicht war fahl und regungslos. Doch erleichtert bemerkte Sofynne den schwachen Atem der noch von ihr ausging. Der eine Wangenknochen war zertrümmert und um den Rest ihres Körpers stand es nicht besser. Die Glieder waren deformiert, ihr Arm stand merkwürdig ab. An einigen Stellen hatte dunkles Blut das strahlende Weiß ihres Kleides benetzt und an ihrem Bein lag der Knochen bereits frei. Warum nur? Warum sie?
Jedes Gefühl war aus Sofynne gewichen, sogar die anfängliche Erleichterung, dass sie noch lebte. Was was nur passiert? Wie sollte sie jemals wieder so werden wie früher?
Sofynne spürte, wie sie jemand auf die Beine zog.
„Komm. Wir müssen weiter. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit“, hörte sie Katresas Stimme dicht an ihrem Ohr, als diese sie sanft den Gang entlang schob und Sofynnes Körper schien dem ohne Widerstand folge zu leisten. Sie wandte nur noch ein letztes Mal den Blick zurück und sah, wie Rahel vorsichtig die Prinzessin vom Boden aufhob.
Sofynne konnte nicht mehr klar denken. Immer wieder wiederholte sich die Szene in ihrem Kopf. Sonst war ihr Geist leer, ihr Körper ein leblose Hülle.
Sie wusste nicht einmal wohin Katresa sie führte, doch es war ihr auch gleich. Abwesend lauschte sie nur noch ihren eigen Schritten. Dumpf klangen sie an den Wänden nach und waren so weit entfernt wie alles andere um sie herum. Sie wollte einfach nicht mehr denken müssen.
Knirschend öffnete sich die in die Wand eingelassen, massive Stahltür, war und gab den Weg in die Katakombe frei. Das warme gelbliche Licht, ließ Sofynne aufblicken.
Die Stimmen um sie herum waren hektisch, doch sie hörte nicht, was sie sagten. Sie sah, wie Rahel hinter ihnen in den Raum eilte und die Prinzessin auf dem steinernen Altar in der Mitte ablegte. Die Flügel der Tür schlossen sich hinter ihnen und im Raum kehrte mit einem Mal eine Totenstille ein, als die Anderen sich um den Altar versammelten und niederknieten.
Allmählich erwachte Sofynne aus ihrer Ohnmacht, als sie glaubte zu verstehen. Die Wächter klammerten ihre Hoffnung an die alten Geschichten; die alte Magie. Doch was sollte das noch bringen? Es gab keinen Weg mehr die Prinzessin zu retten. Solch eine Magie existierte nicht.
Schwerfällig hob sie den Blick und starrte auf das leuchtend weiße Kleid der Prinzessin, das von Blutflecken durchzogen war, die sich in dem schwachen Licht wie Löcher in ihren Körper zu bohren schienen. Sie würde die Prinzessin verlieren. Ihre Prinzessin. Na'ele.
Sofynne spürte wie Zorn und Verzweiflung in ihr aufstieg. Die anderen verschwendeten ihre Zeit. Niemals würde sie die Prinzessin wieder sehen. Sie war ohnehin schon so gut wie tot. Und sie wollten es nicht einsehen. Dabei war sie es, die die Prinzessin verlieren würde, nicht die anderen.
Der Singsang, den die Wächter anstimmten, brannte in ihren Ohren. Sie hatte beinahe das Gefühl, ihr Kopf würde unter dem Druck platzen.
Plötzlich bemerkte sie einen schwülen Luftzug, der an ihr vorbei zog. Ein Blick zur Tür ließ sie für einen kurzen Moment erstarren. Das Metall der Tür hatte angefangen an einigen Stellen dunkle Flecken zu bilden und die Messingverzierungen begannen bereits zu zerfließen. Er war also hier. Bis hierhin war er ihnen gefolgt. Nicht mehr lange und der Stahl würde unter seiner Magie nachgeben.
Ein dunkelrotes Glühen breitete sich mittlerweile unaufhaltsam über die gesamte Fläche der Tür aus. Er würde nicht eher ruhen, bis sie alle tot waren.
Jetzt war es ohnehin nicht mehr wichtig. Sie waren verloren. Das wusste Sofynne und es war ihre Schuld. Alles was sie sah, war ihr Werk. Sie hatte es doch so gewollt. Sie wollte, dass der Magier die Wächter tötet.  Aber er sollte ihr nicht den einzigen Menschen nehmen, der ihr auf der Welt etwas bedeutete. Nein. Sie hatte Na'ele umgebracht, als sie sie in diese Gänge führte. Sie selbst war ihre Mörderin.
Fast blind vor Wut und Trauer durchquerte sie den Raum, nahm sich das ihrer Meinung nach wertvollste Buch und riss wahllos eine Seite hinaus.
„Was tust du da?!“, rief Katresa entsetzt und richtete sich auf.
Feuer flammte in Sofynnes Hand auf und brannte qualmend Buchstaben in das Papier. Das war ihr Bekenntnis, ihr Testament.
„Wir werden eh alle sterben!“, schrie Sofynne. Ihre Finger umklammerten das dünne Papier in ihrer Hand, das noch rauchte. Der Singsang verstummte mit einem Mal und Stille legte sich über den Raum.
„Sofynne“, sprach Katresa ruhig. „Wir brauchen dich!“
„Für diesen Aberglauben? Solch eine Magie gibt es nicht. Sie ist tot! Versteht ihr das nicht?!“ All ihre Wut entlud sich in ihrer Stimme und sie schrie so laut, dass sie glaubte, es würde ihre Stimme zerreißen.
„Sie atmet noch!“, entgegnete Katresa scharf.
Sofynne war sich sicher, Katresa wollte sie provozieren. Dieses ruhige Gesicht; am liebsten wollte Sofynne es zerschmettern. Ihr diesen Blick aus dem Gesicht brennen. Sie sollte in Flammen aufgehen. Es gab niemanden mehr, für den sich Sofynne jetzt noch zurückhalten musste.
Wutentbrannt erhob sie ihre Hände. Das Feuer darin entfachte zischend und schwoll in einem Augenblick zu einem glühenden Inferno zwischen ihren Handflächen an.
Ein Knall durchbrach plötzlich die Stille. Kleine Metallsplitter flogen durch die Luft, als es die Tür regelrecht zerriss und Flammen den Raum vollständig fluteten.
Sofynnes Feuer sprang von ihren Händen über und bildete einen Flammenkreis um sie herum, an dem die feindlichen Feuerzungen abprallten.
In der Luft lagen Schreie der Wächter, die binnen weniger Sekunde erstarben. Licht blitzte auf, zischend verdampfte Wasser. Es war ein Meer von Funken, doch das Feuer brannte sich hindurch und fraß alles in seinem Weg.
Es war nicht mehr als ein Augenschlag vergangen und Sofynne fand sich in einem Flammenmeer wieder. Ihr Körper zitterte unter dem Druck auf ihren Flammenkreis, doch so schnell wollte sie sich dem Magier nicht geschlagen geben.
Eine halbe Ewigkeit stand sie einfach da und langsam, aber unaufhaltsam kamen schmerzlich die Erinnerungen an den Abend zurück. Alles, was passiert war, lief vor ihrem inneren Augen ab, klarer als jemals zuvor. Doch diesmal konnte sie es nicht verhindern, dass sie an die Prinzessin denken musste; an ihr Lachen, ihren Blick, ihre Berührungen. Nie wieder würde sie dieses Lächeln wiedersehen können.
Warum nur? Warum war es ihr nicht vergönnt gewesen zu leben? Sie wäre glücklich geworden, zusammen wären sie glücklich geworden. Ihr Traum war unwiderruflich zerstört. Sie hatte doch nur leben wollen...
Sofynne spürte wie Tränen ihre Wangen hinunter rannen.
Was war nur falsch gelaufen?  Es hatte alles so reibungslos funktioniert. Wann nur hatte sie das Glück so verlassen?
„Warum?!“, schrie sie und hörte sich selbst aufschluchzen.
Ihr Schrei erstickte im im Flammenmeer um sie herum. Sie war ganz allein.
Das sollte also ihr Ende sein. Die Zeit lässt sich nicht zurück drehen. So ist das nun einmal.
Sofynne schloss einfach die Augen und versuchte an nichts mehr zu denken.
Wenn es stimmte, was die Geschichten sagten, würde sie gleich wieder bei ihrer Prinzessin sein. Sie würde Na'ele wiedersehen.
Der Flammenkreis um sie herum erstarb und die Flammen brachen gierig auf sie ein. Sie spürte nicht mehr wie das Feuer sich durch ihre Fleisch und Knochen fraß und auch sie vollends auflöste.


Mein Name ist Sofynne.
Ich war eine Wächterinnen der Prinzessin von Liana.
Die Stadt ist heute Nacht in Flammen aufgegangen.
Es ist meine Schuld, denn ich habe es zugelassen, dass der Magier aus Isona hier eindringen konnte. Ich habe es nicht verhindert.
Und ich habe die Prinzessin auf dem Gewissen. Ich konnte sie nicht beschützen.
Sie ist jetzt tot und ich bin ihre Mörderin.


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