Liebe
macht blind
Emil
war gerade auf dem Weg zu seinem Fahrrad, als er eine vertraute
Stimme hinter sich seinen Namen rufen hörte. Er drehte sich um und
war erstaunt, Lilian vor sich zu haben.
„Emil!“
Sie hielt schnaufend bei ihm an. „Bist du okay?“
„Eh
... ja.“ Emil sah sie fragend an.
„Ich
hatte nur dieses Gefühl, als hätte Marie wieder etwas vor und ...“
Lilian schnappte nach Luft. „Es ist also nichts passiert?“
Verneinend
schüttelte Emil den Kopf.
„Oh.
Dann tut das
mir unglaublich Leid, hier aufgekreuzt zu sein.“
„Wieso?“
Einen
Augenblick sah Lilian ihn entgeistert an, doch dann begann sie zu
lächeln und meinte mit betont sarkastischer Stimme:
„Ja,
warum eigentlich?“
„Das
weiß ich auch nicht“, gab Emil zu.
Es
war Lilians Lachen, das die angespannte Stimmung zwischen den Beiden
auflöste. „Nun gut. Dann bin ich den ganzen Weg umsonst gerannt.
Ich dachte, du würdest wieder etwas dummes anstellen.“
„Was
sollte ich denn dummes anstellen?“
„Mhm...
lass mich kurz überlegen.“ Sie überlegte gespielt. „Dich von
einer bösen Hexe in einen Frosch verwandeln lassen zum Beispiel.“
„Du
hast das mit der Kostümparty immer noch nicht vergessen?“
„Warum?
Oh, entschuldige. Ich vergaß.“
„Ist
schon in Ordnung“, winkte Emil ab. „Das meine ich nicht. Ich
meine dieses peinliche Kostüm.“
„Ich
fand es stand dir sehr gut.“
„Meinst
du?“
„Du
solltest öfter grün tragen. Auch wenn dir schwarz auch sehr gut
steht“, bemerkte Lilian, während sie seine Kleidung inspizierte.
„Du
trägst aber auch fast immer schwarz.“
„Da
hast du Recht. Es hält einfach die Gerüchte, die über mich
existieren, aufrecht.“
„Dass
du eine Lesbe bist?“
„Und
dass ich Männer zum Frühstück verputze. Dabei benutze ich nicht
einmal schwarze Schminke“, beschwerte sich Lilian und deutete auf
ihre Augen, bei denen Emil nicht genau erkannte, ob sie nun
geschminkt waren oder nicht, doch eine ganz andere Frage brannte ihm
auf der Seele:
„Bist
du eigentlich lesbisch?“
Lilian
verstummte plötzlich und ihre Gesichtszüge versteiften sich.
Nachdenklich fuhr sie mit ihrer Zunge über ihre Lippen, bevor sie
ihm mit belegter Stimme antwortete:
„Ganz
ehrlich? Keine Ahnung. Aber da ich keine Beziehung mit Männern haben
kann, du weißt schon wegen dem Succubusding ... bleibt mir nicht
viel anderes übrig.“
Mit
der Antwort hatte Emil nicht gerechnet und er überlegte verzweifelt,
wie er darauf antworten sollte, doch etwas besseres als „Verstehe“
fiel ihm nicht ein.
„Tja,
da kann man nichts machen. Das Leben als Succubus ist hart.“
Lilians Lächeln ließ Emils Anspannung dann doch wieder schwinden.
„Was machst du in den Osterferien?“
„Keine
Ahnung. Die fangen doch erst Freitag an.“
„Ja,
stimmt. Ich habe ja keine Schule mehr, also kriege ich das nicht mehr
so mit.“
„Du
bist fertig mit der Schule?“, stieß Emil ungläubig hervor.
„Ja,
ich mache jetzt mein Abi.“
Emils
Augen verengten sich misstrauisch: „Wie alt bist du?“
„19.“
„Dann
bist du älter als ich!“
„Scheint
so.“
Emils
nächster Gedanke enthielt irgendetwas von älteres Mädchen geküsst,
bis er Lilians Blick bemerkte, der abgeschweift war und auf etwas
starrte, das hinter ihm war. Er erkannte Martin, der auf die Beiden
zukam. Lilian wirkte nervös.
„Ich
sollte lieber gehen“, murmelte sie. „Pass auf dich auf, Emil.“
Ein Lächeln zog über ihre Lippen, dann war sie auch schon schnellen
Schrittes Richtung Hoftor unterwegs.
„Was
wollte sie denn?“, fragte Martin, als er bei Emil angekommen war.
„Weiß
ich ehrlich gesagt nicht so genau.“
„Übrigens
Marie sucht dich.“
„Warum
sucht sie mich?“
„Weiß
ich nicht genau. Sie meinte nur, sie wollte dir was sagen. Und weißt
du was das heißt?“
Emil
sah ihn verständnislos an.
„Du
magst sie doch schon so lange. Ich wette, das wird heute noch was.“
„Ach
Unsinn. Warum sollte sie etwas von mir wollen?“
„Mehr
Selbstvertrauen, Emil!“, versuchte Martin ihm Mut zuzusprechen.
„Selbstvertrauen
kann mich mal.“ Emil wurde zunehmend unruhiger. „Was soll ich
denn sagen?“
„Du
hast doch schon mit ihr zusammen gelernt.“
„Da
haben wir aber auch nicht viel geredet.“
„Ich
hab ihr gesagt, ich würde dich holen. Sie wartet sicher schon.“
„Okay,
okay. Gib mir fünf
Minuten!“
„Die
hast du nicht. Jetzt geh schon!“ Martin gab ihm einen leichten
Schubs in den Rücken. „Wird schon alles gut gehen.“
Emil
holte tief Luft. „Ich mach's jetzt einfach“, sagte er mehr zu
sich selbst, als zu Martin und ging schnurstracks zurück ins
Gebäude.
Marie
wartete auf der Treppe auf ihn. Sie sah einfach umwerfend aus, in dem
schmalgeschnittenen, langen Top und der engen Jeans.
Emil
nahm allen Mut zusammen und versuchte sich nicht zu verhaspeln, als
er sprach: „Hi, Martin sagte, du hattest mich gesucht. Du suchtest
mich. Ach wie auch immer.“ Wie immer in solchen Situationen mit
Marie, spürte er wie er rot anlief und seine Knie weich wurden.
„Ja.“
Marie lächelte ihn an. „Können wir uns kurz setzen?“
Emil
nickte nur steif und setzte sich neben Marie, die sich auf der Treppe
niederließ. Sie faltete ihre Hände, bevor sie anfing zu sprechen:
„Nun,
Steffi und Lisa sind beide die Osterferien über auf Mallorca.“
Warum erzählte sie ihm das eigentlich? „Ich kann leider nicht mit,
weil ich ein Fotoshooting in Bremen habe. Das wäre eine gute
Gelegenheit Urlaub im Ferienhaus meiner Eltern an der Nordsee zu
machen.“
Sie
sah plötzlich zu Emil auf. „Hättest du Lust mich zu begleiten?“
Emils
Herz fing schmerzlich an zu rasen, doch so leicht fiel Emil diesmal
nicht darauf herein:
„Und
warum gerade ich?“
„Du
hast mir sehr beim Lernen geholfen. Ich habe sogar eine Zwei
geschafft. Ich denke, dass wir sicher auch in anderen Fächern für
die Schule lernen könnten.“
Eigentlich
brauchte Emil normalerweise nicht zu lernen, es klappte auch so ganz
gut mit den Noten. Nur
in Physik und Mathe war
er eine Niete, aber das
wollte er ihr jetzt bestimmt nicht sagen.
Plötzlich
spürte er, wie sie seine Hand berührte und zuckte sofort zusammen.
Sie umfasste sie mit beiden Händen. Ihre blauen Augen blinzelten ihn
erwartungsvoll an. „Bitte. Du hast mir schon so oft geholfen! Ich
möchte einfach nicht alleine fahren.“
Wann
hatte er ihr denn geholfen? Beim Lernen und genau: Das eine Mal mit
diesem Typen in der Eisdiele.
„Was
war das eigentlich damals für ein Typ?“, fragte Emil. So leicht
würde er sich nicht überreden lassen.
„Welcher?“,
fragte Marie aus dem Konzept gebracht.
„Der
in der Eisdiele.“
„Ach,
der ...“ Marie senkte theatralisch die Stimme. „Der hat mich
betrogen mit irgendeiner Anderen. Deshalb war ich so fertig danach.
Aber zum Glück warst du ja da.“
Ihre
Finger begannen leicht Emils Hand zu streicheln und jetzt glaubte er,
sein Herz würde in seiner Brust zerbersten. Er saß also auf der
Treppe, händchenhaltend mit dem Mädchen, das er liebte, die ihn in
ihr Ferienhaus einlud und er glaubte immer noch, sie wolle ihm etwas
Böses? Genau genommen, hatte sie ihm noch nie etwas Böses getan.
Lilian hatte ihn ins Krankenhaus befördert, nicht Marie. Sie war
immer nett zu ihm gewesen und sie war wunderschön, besonders wenn
sie lächelte.
„Ich
würde mich wirklich freuen, wenn du mitkämst.“
„Okay.“
„Okay?“,
fragte Marie verwirrt.
„Ich
komme mit.“
„Achso.
Ja, natürlich. Schön.“ Marie schien total aus ihrem Konzept
gebracht. „Ich wollte Freitag direkt los. Sollen wir uns nach der
Schule direkt treffen?“
Emil
nickte. Ein weiteres Wort brachte er nicht hervor.
„Hast
du ein Auto?“
Ein
Kopfschütteln.
„Gut,
ich habe eins. Dann treffen wir uns nach Physik am Parkplatz?“
Ein
Nicken.
„Also.“
Marie löste ihre Hand von Emils. „Wir sehen uns dann.“ Sie
machte Anstalten aufzustehen, besann sich dann aber anders, beugte
sich noch einmal hinunter und gab Emil einen Kuss auf die Wange.
„Ciao.“ Und mit einem Lächeln auf den Lippen verschwand sie.
Weitere
fünf
Minuten konnte Emil weder etwas sagen, noch sich bewegen. Ein Urlaub.
Im Ferienhaus. Mit Marie. Er war der glücklichste Mensch auf Erden.
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