Wie
war er nur hierher gekommen? Sein Körper zitterte vor Kälte und er
rieb sich die tauben Hände. Was ihm jetzt nur noch fehlen würde
wäre, dass es anfing zu regnen. Er streckte vorsichtshalber die Hand
aus, um zu schauen, ob er es damit nicht auch noch provoziert hatte.
Nein, kein Regen. Das war wenigstens etwas.
Warum
hatte Emil sich nur dazu überreden lassen, hierher zu kommen? Jetzt
stand er frierend vor dem Tor des Mädchengymnasiums und wusste nicht
einmal, ob er es schaffen würde Lilian ab zu passen. Was mussten die
Mädchen, die vorbei kamen, nur von ihm denken? Sie warfen ihm Blicke
zu und fingen an zu kichern.
Emil
zog daraufhin die Mütze tiefer ins Gesicht. Er wusste nicht einmal,
was er ihr sagen wollte wenn sie wirklich kam. Sowas wie: „Hey,
danke dass du mich besucht hast. Das war's eigentlich schon. Wollte
gar nicht lange stören.“?
„Emil?“,
fragte eine weibliche Stimme mit einem Mal.
Sein
Herz begann schmerzhaft zu rasen und erschrocken blickte er auf. Doch
dann stellte er fest, dass er das Mädchen, das bei ihm stehen
geblieben war, nicht einmal kannte. Sie war etwas jünger als er,
hatte braune Augen und lange, weißblonde Haare, die von einem rosa
Haarreifen zurück gehalten wurden. Er blinzelte sie verständnislos
an. „Kennen wir uns?“
„Nein,
aber ich wollte dir einen schönen Tag wünschen.“ Sie lächelte.
„Ja,
aber ...“, begann Emil verwirrt. Doch da hatte sie sich auch schon
umgedreht und war die Straße entlang verschwunden.
Ratlos
kratzte er sich am Kopf und versank mit geröteten Wangen in seinem
Kragen. Woher wusste sie, wie er hieß? Hatte sich das etwa hier auch
herumgesprochen? Es war schlimmer, als er gedacht hatte. Sein Ruf war
ruiniert! Und alles nur, weil der Zufall es wollte, dass er genau
dann zusammenbrach, wenn er ein Mädchen küsste. Das Schlimmste war,
dass es sein erster Kuss gewesen war und er sich jetzt nur noch
schwammig daran erinnern konnte, wie es sich angefühlt hatte. Ihre
Lippen waren so weich gewesen. Wie Zuckerwatte... dabei mochte er
Zuckerwatte nicht einmal. Er musste aufhören, daran zu denken.
Emil
hob vorsichtig den Kopf, um Ausschau zu halten. Gerade kam eine
Gruppe Mädchen aus dem Tor. Sein Herz blieb für einen Moment
stehen. Er erkannte Lilian, die ein Stück hinter ihnen lief. Ihr
braunes Haar hatte sie zu einem Dutt zusammengebunden, doch es sah
nicht weniger hübsch aus, als an dem Abend, wo sie ihr Haar noch
offen getragen hatte.
Als
sie ihn erkannte, nickte sie ihm zu. Emil drückte sich einfach nur
starr gegen die Wand und hoffte, diese würde ihn verschlucken. Doch
es half nichts. Der Backstein wollte nicht nachgeben.
Warum
wollte er überhaupt weg? Er hatte doch auf sie gewartet, oder nicht?
Seine Wangen brannten, als sie ihm ein Lächeln zuwarf. „Hey.“
„Hi“,
murmelte Emil tonlos und da war sie auch schon an ihm vorbei.
Instinktiv griff er nach ihrem Arm und zog sie zurück.
Sie
sah ihn für einen Moment erstaunt an, dann lächelte sie. Emil kam
sich ziemlich dumm vor und ließ sie augenblicklich los.
„Entschuldige.
Ich wusste nicht, dass du wegen mir hier bist.“
„Ich
wollte mich für die Schokolade bedanken! Und dass du mich besucht
hast und ...“ Er hatte so schnell gesprochen, dass er nun nach Luft
japste.
„War
doch kein Problem. Schließlich habe ich dir Ärger bereitet.“ Emil
merkte, dass sie sich zurück hielt, nicht breit zu grinsen.
„Eh...
ja ...“, begann er, auch wenn er eigentlich nicht wusste, was er
sagen wollte.
„Ich
hoffe, die Schokolade hat dir geschmeckt.“
Emil fiel auf, dass er sie nicht einmal probiert hatte. Er war nicht einmal dazu gekommen.
Emil fiel auf, dass er sie nicht einmal probiert hatte. Er war nicht einmal dazu gekommen.
„Klar“,
log er. „Unglaublich lecker.“
„Das
freut mich.“
Darauf
wusste Emil nichts zu erwidern. Was sollte er nur mit ihr reden?
Worüber redete man mit Mädchen? Eine peinliche Stille trat ein, in
der Emil fieberhaft versuchte, ein sinnvolles Gesprächsthema zu
finden.
„Ich
wollte eigentlich jetzt nach Hause.“, sagte Lilian plötzlich. Als
sie Emils verzweifelten Blick auffing, fügte sie hinzu: „In welche
Richtung musst du denn? Eventuell können wir ein Stück zusammen
gehen?“
„Ja,
können wir“, sagte er, bis ihm auffiel, dass er ihre Frage davor
überhaupt nicht beantwortet hatte.
Sie
grinste ihn an und setzte sich dann in Bewegung. Emils Beine wollten
sich im ersten Moment nicht bewegen. Ein Mädchen redete mit ihm. Sie
war zwar lesbisch, aber sie war ein Mädchen.
Langsam
löste er sich aus der Schockstarre und folgte ihr. Sie gingen ein
Stück, wobei Lilian die Richtung vorgab. Sie sah ihn nicht an,
während sie versuchte ein Gespräch anzufangen:
„Du
hast sicherlich gehört, dass ich als Männerhasserin bekannt bin,
oder?“
Emil
nickte. Ihn überraschte, dass Lilian das ansprach.
„Das
ist totaler Schwachsinn“, sagte Lilian mit ruhiger Stimme und sah
dann zu Emil hinüber. „Aber eine Männerhasserin zu sein, ist
manchmal von Vorteil. Deine Klassenkameradinnen fragen dich nicht,
welchen Kerl aus der Boygroup du süß findest und ob Brad oder
Johnny heißer ist. Außerdem lästern sie dann immer nur darüber,
dass du keine Männer magst.“ Dann hielt sie kurz inne. Mädchen
lästern unglaublich gerne, musst du wissen“
„Ja,
Mädchen können echt nerven...“, sagte Emil, mit dem Gedanken, an
die Mädchen aus seiner Klasse. Außer Marie. Sie konnte niemals
nerven, dafür war sie nicht der Typ.
„Auch
ich?“, fragte Lilian lachend und erst da fiel Emil auf, was er
gerade gesagt hatte.
„Nein,
ich meinte“, versuchte Emil sich zu erklären, doch er wusste nicht
wie.
„Schon
okay. Ich weiß, wie du das meintest. Ich habe übrigens eine Menge
Überzeugungsarbeit leisten müssten, um deine Aktion auf der Party
erklären zu können.“
Mit
Aktion meinte sie den Kuss. Jemanden zu küssen, wenn man dafür
bekannt war, dass man keine Männer mag, war sicherlich nicht einfach
zu erklären. Schließlich war sie lesbisch.
Aber
warum hatte sie ihn dann zurück geküsst? Hatte sie das überhaupt?
Sie hätte es, wenn sie nicht so überrascht gewesen wäre. Er fiel
fast aus allen Wolken. Er hatte sie auch noch gegen ihren Willen
geküsst.
„Das
soll nicht heißen, dass es deine Schuld war“, sagte Lilian
schnell. „Es tut mir Leid, dass es soweit gekommen ist.“
„Ach
Unsinn. Du musst dich für nichts entschuldigen. Wenn dann ich, dass
ich dich...“ Er suchte nach einer Beschreibung, die ihm über die
Lippen gehen wollte.
„Wenn
man es genau nimmt, ist es sogar allein meine Schuld.“ Lilians
Stimme hatte einen ernsten Tonfall angenommen.
Emil
blieb stehen und sah sie verwirrt an. Er wollte ihr sagen, dass es
natürlich nicht so sei, doch irgendwie formten seine Lippen ein
anderes Wort: „Warum?“
Sie
waren bereits ein ganzes Stück von der Schule entfernt und hatten
zur Hälfte den Park durchquert. Zu ihrer Rechten zwischen den Bäumen
konnte man die Einkaufsstraße erkennen. Außer ihnen ging niemand
auf dem schmalen Weg, der sich durch ein Stück Rasen vom Hauptweg
abgrenzte.
„Weißt
du ...“, begann sie langsam. „Das ist nicht einfach zu erklären.“
Sie rang nach Worten.
Emils
Blick ging an Lilians Gesicht vorbei zur Einkaufstraße. Durch die
Bäume sah er in einiger Entfernung das kleine Eiscafé. Draußen
standen kleine Tische mit Korbstühlen. Trotz des frischen Wetters
war die Eisdiele gut besucht.
Dann
blieb sein Blick an einem Tisch hängen und sein Magen zog sich
zusammen. Er kannte das Mädchen mit den dunkelblonden Haaren, die
dort saß. Marie. Sie unterhielt sich mit einem Jungen, der ihr
gegenüber saß. Emil merkte wie seine Knie weich wurden. Marie
schien zu lachen, dann beugte sie sich zu dem Typen hinüber und gab
ihm einen Kuss auf die Wange. In Emils Kopf drehte sich alles.
„Glaubst
du an Magie?“, fragte Lilian plötzlich und Emil wandte hastig den
Blick von diesem schockierenden Bild ab. In seinen Gedanken war er
immer noch bei Marie.
„Ja...“,
formten seine Lippen eine Antwort. Wer war dieser Typ? Und warum traf
Marie sich mit ihm?“
„Was
wäre, wenn magische Wesen wirklich existieren würden? Was, wenn
nicht der Alkohol Schuld daran war, dass du ohnmächtig geworden
bist, sondern ich? Weil...“
Lilian
brach mitten im Satz ab. Emil hörte ihr überhaupt nicht mehr zu. Er
war zu sehr damit beschäftigt, zu überlegen, wie er unauffällig
den Blick abwenden konnte. Er hatte das Gefühl, in seinem
Augenwinkel würde Marie gleich diesen komischen Typen küssen.
„Ich
habe das Gefühl, dass du anders bist. Du nimmst das alles so
locker.“
„Mhm...“
Emil nickte nur geistesabwesend.
„Emil!“
Sie packte ihn an beiden Schultern und sah ihn eindringlich an. „Das
Beste ist, wenn du dich in Zukunft von mir fern hältst.
Weil...Eigentlich darf ich dir das nicht sagen.“
„Dann
lass es“, schlug Emil vor und hoffte, dass das Thema damit beendet
war.
Lilian
seufzte und ließ die Hände sinken. „Ich sollte nicht einmal mit
dir reden. Ich bin eine Gefahr für dich...“
„Ja,
kapiert. Du musst nicht darüber reden, wenn du nicht willst“ Emil
biss sich auf die Lippen. Was konnte denn nun so wichtig sein?
„Ich
könnte dich verletzten.“
„Ist
ok.“
„Du
könntest sterben!“
„Ich
nehm's dir nicht übel.“
„Verstehst
du nicht? Ich bin...“, begann sie erneut.
Emil
schwieg, weil er nicht mehr wusste, was er sagen sollte. Er wusste
doch schon, dass sie lesbisch war. Aber was war jetzt mit Marie?
„...
eine Succubus!“
„Kein
Problem. Das weiß ich schon!“, rief Emil hastig. Er wandte sich ab
und stürmte in Richtung Eiscafé los. „Ich melde mich!“
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