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Dämonen und so - Kapitel 5


Coming-Out



Wie war er nur hierher gekommen? Sein Körper zitterte vor Kälte und er rieb sich die tauben Hände. Was ihm jetzt nur noch fehlen würde wäre, dass es anfing zu regnen. Er streckte vorsichtshalber die Hand aus, um zu schauen, ob er es damit nicht auch noch provoziert hatte. Nein, kein Regen. Das war wenigstens etwas.
Warum hatte Emil sich nur dazu überreden lassen, hierher zu kommen? Jetzt stand er frierend vor dem Tor des Mädchengymnasiums und wusste nicht einmal, ob er es schaffen würde Lilian ab zu passen. Was mussten die Mädchen, die vorbei kamen, nur von ihm denken? Sie warfen ihm Blicke zu und fingen an zu kichern.
Emil zog daraufhin die Mütze tiefer ins Gesicht. Er wusste nicht einmal, was er ihr sagen wollte wenn sie wirklich kam. Sowas wie: „Hey, danke dass du mich besucht hast. Das war's eigentlich schon. Wollte gar nicht lange stören.“?
„Emil?“, fragte eine weibliche Stimme mit einem Mal.
Sein Herz begann schmerzhaft zu rasen und erschrocken blickte er auf. Doch dann stellte er fest, dass er das Mädchen, das bei ihm stehen geblieben war, nicht einmal kannte. Sie war etwas jünger als er, hatte braune Augen und lange, weißblonde Haare, die von einem rosa Haarreifen zurück gehalten wurden. Er blinzelte sie verständnislos an. „Kennen wir uns?“
„Nein, aber ich wollte dir einen schönen Tag wünschen.“ Sie lächelte.
„Ja, aber ...“, begann Emil verwirrt. Doch da hatte sie sich auch schon umgedreht und war die Straße entlang verschwunden.
Ratlos kratzte er sich am Kopf und versank mit geröteten Wangen in seinem Kragen. Woher wusste sie, wie er hieß? Hatte sich das etwa hier auch herumgesprochen? Es war schlimmer, als er gedacht hatte. Sein Ruf war ruiniert! Und alles nur, weil der Zufall es wollte, dass er genau dann zusammenbrach, wenn er ein Mädchen küsste. Das Schlimmste war, dass es sein erster Kuss gewesen war und er sich jetzt nur noch schwammig daran erinnern konnte, wie es sich angefühlt hatte. Ihre Lippen waren so weich gewesen. Wie Zuckerwatte... dabei mochte er Zuckerwatte nicht einmal. Er musste aufhören, daran zu denken.
Emil hob vorsichtig den Kopf, um Ausschau zu halten. Gerade kam eine Gruppe Mädchen aus dem Tor. Sein Herz blieb für einen Moment stehen. Er erkannte Lilian, die ein Stück hinter ihnen lief. Ihr braunes Haar hatte sie zu einem Dutt zusammengebunden, doch es sah nicht weniger hübsch aus, als an dem Abend, wo sie ihr Haar noch offen getragen hatte.

Als sie ihn erkannte, nickte sie ihm zu. Emil drückte sich einfach nur starr gegen die Wand und hoffte, diese würde ihn verschlucken. Doch es half nichts. Der Backstein wollte nicht nachgeben.
Warum wollte er überhaupt weg? Er hatte doch auf sie gewartet, oder nicht? Seine Wangen brannten, als sie ihm ein Lächeln zuwarf. „Hey.“
„Hi“, murmelte Emil tonlos und da war sie auch schon an ihm vorbei. Instinktiv griff er nach ihrem Arm und zog sie zurück.
Sie sah ihn für einen Moment erstaunt an, dann lächelte sie. Emil kam sich ziemlich dumm vor und ließ sie augenblicklich los.
„Entschuldige. Ich wusste nicht, dass du wegen mir hier bist.“
„Ich wollte mich für die Schokolade bedanken! Und dass du mich besucht hast und ...“ Er hatte so schnell gesprochen, dass er nun nach Luft japste.
„War doch kein Problem. Schließlich habe ich dir Ärger bereitet.“ Emil merkte, dass sie sich zurück hielt, nicht breit zu grinsen.
„Eh... ja ...“, begann er, auch wenn er eigentlich nicht wusste, was er sagen wollte.
„Ich hoffe, die Schokolade hat dir geschmeckt.“
Emil fiel auf, dass er sie nicht einmal probiert hatte. Er war nicht einmal dazu gekommen.
„Klar“, log er. „Unglaublich lecker.“
„Das freut mich.“
Darauf wusste Emil nichts zu erwidern. Was sollte er nur mit ihr reden? Worüber redete man mit Mädchen? Eine peinliche Stille trat ein, in der Emil fieberhaft versuchte, ein sinnvolles Gesprächsthema zu finden.
„Ich wollte eigentlich jetzt nach Hause.“, sagte Lilian plötzlich. Als sie Emils verzweifelten Blick auffing, fügte sie hinzu: „In welche Richtung musst du denn? Eventuell können wir ein Stück zusammen gehen?“
„Ja, können wir“, sagte er, bis ihm auffiel, dass er ihre Frage davor überhaupt nicht beantwortet hatte.
Sie grinste ihn an und setzte sich dann in Bewegung. Emils Beine wollten sich im ersten Moment nicht bewegen. Ein Mädchen redete mit ihm. Sie war zwar lesbisch, aber sie war ein Mädchen.
Langsam löste er sich aus der Schockstarre und folgte ihr. Sie gingen ein Stück, wobei Lilian die Richtung vorgab. Sie sah ihn nicht an, während sie versuchte ein Gespräch anzufangen:
„Du hast sicherlich gehört, dass ich als Männerhasserin bekannt bin, oder?“
Emil nickte. Ihn überraschte, dass Lilian das ansprach.
„Das ist totaler Schwachsinn“, sagte Lilian mit ruhiger Stimme und sah dann zu Emil hinüber. „Aber eine Männerhasserin zu sein, ist manchmal von Vorteil. Deine Klassenkameradinnen fragen dich nicht, welchen Kerl aus der Boygroup du süß findest und ob Brad oder Johnny heißer ist. Außerdem lästern sie dann immer nur darüber, dass du keine Männer magst.“ Dann hielt sie kurz inne. Mädchen lästern unglaublich gerne, musst du wissen“
„Ja, Mädchen können echt nerven...“, sagte Emil, mit dem Gedanken, an die Mädchen aus seiner Klasse. Außer Marie. Sie konnte niemals nerven, dafür war sie nicht der Typ.
„Auch ich?“, fragte Lilian lachend und erst da fiel Emil auf, was er gerade gesagt hatte.
„Nein, ich meinte“, versuchte Emil sich zu erklären, doch er wusste nicht wie.
„Schon okay. Ich weiß, wie du das meintest. Ich habe übrigens eine Menge Überzeugungsarbeit leisten müssten, um deine Aktion auf der Party erklären zu können.“
Mit Aktion meinte sie den Kuss. Jemanden zu küssen, wenn man dafür bekannt war, dass man keine Männer mag, war sicherlich nicht einfach zu erklären. Schließlich war sie lesbisch.
Aber warum hatte sie ihn dann zurück geküsst? Hatte sie das überhaupt? Sie hätte es, wenn sie nicht so überrascht gewesen wäre. Er fiel fast aus allen Wolken. Er hatte sie auch noch gegen ihren Willen geküsst.
„Das soll nicht heißen, dass es deine Schuld war“, sagte Lilian schnell. „Es tut mir Leid, dass es soweit gekommen ist.“
„Ach Unsinn. Du musst dich für nichts entschuldigen. Wenn dann ich, dass ich dich...“ Er suchte nach einer Beschreibung, die ihm über die Lippen gehen wollte.
„Wenn man es genau nimmt, ist es sogar allein meine Schuld.“ Lilians Stimme hatte einen ernsten Tonfall angenommen.
Emil blieb stehen und sah sie verwirrt an. Er wollte ihr sagen, dass es natürlich nicht so sei, doch irgendwie formten seine Lippen ein anderes Wort: „Warum?“
Sie waren bereits ein ganzes Stück von der Schule entfernt und hatten zur Hälfte den Park durchquert. Zu ihrer Rechten zwischen den Bäumen konnte man die Einkaufsstraße erkennen. Außer ihnen ging niemand auf dem schmalen Weg, der sich durch ein Stück Rasen vom Hauptweg abgrenzte.
„Weißt du ...“, begann sie langsam. „Das ist nicht einfach zu erklären.“ Sie rang nach Worten.
Emils Blick ging an Lilians Gesicht vorbei zur Einkaufstraße. Durch die Bäume sah er in einiger Entfernung das kleine Eiscafé. Draußen standen kleine Tische mit Korbstühlen. Trotz des frischen Wetters war die Eisdiele gut besucht.
Dann blieb sein Blick an einem Tisch hängen und sein Magen zog sich zusammen. Er kannte das Mädchen mit den dunkelblonden Haaren, die dort saß. Marie. Sie unterhielt sich mit einem Jungen, der ihr gegenüber saß. Emil merkte wie seine Knie weich wurden. Marie schien zu lachen, dann beugte sie sich zu dem Typen hinüber und gab ihm einen Kuss auf die Wange. In Emils Kopf drehte sich alles.
„Glaubst du an Magie?“, fragte Lilian plötzlich und Emil wandte hastig den Blick von diesem schockierenden Bild ab. In seinen Gedanken war er immer noch bei Marie.
„Ja...“, formten seine Lippen eine Antwort. Wer war dieser Typ? Und warum traf Marie sich mit ihm?“
„Was wäre, wenn magische Wesen wirklich existieren würden? Was, wenn nicht der Alkohol Schuld daran war, dass du ohnmächtig geworden bist, sondern ich? Weil...“
Lilian brach mitten im Satz ab. Emil hörte ihr überhaupt nicht mehr zu. Er war zu sehr damit beschäftigt, zu überlegen, wie er unauffällig den Blick abwenden konnte. Er hatte das Gefühl, in seinem Augenwinkel würde Marie gleich diesen komischen Typen küssen.
„Ich habe das Gefühl, dass du anders bist. Du nimmst das alles so locker.“
„Mhm...“ Emil nickte nur geistesabwesend.
„Emil!“ Sie packte ihn an beiden Schultern und sah ihn eindringlich an. „Das Beste ist, wenn du dich in Zukunft von mir fern hältst. Weil...Eigentlich darf ich dir das nicht sagen.“
„Dann lass es“, schlug Emil vor und hoffte, dass das Thema damit beendet war.
Lilian seufzte und ließ die Hände sinken. „Ich sollte nicht einmal mit dir reden. Ich bin eine Gefahr für dich...“
„Ja, kapiert. Du musst nicht darüber reden, wenn du nicht willst“ Emil biss sich auf die Lippen. Was konnte denn nun so wichtig sein?
„Ich könnte dich verletzten.“
„Ist ok.“
„Du könntest sterben!“
„Ich nehm's dir nicht übel.“
„Verstehst du nicht? Ich bin...“, begann sie erneut.
Emil schwieg, weil er nicht mehr wusste, was er sagen sollte. Er wusste doch schon, dass sie lesbisch war. Aber was war jetzt mit Marie?
„... eine Succubus!“
„Kein Problem. Das weiß ich schon!“, rief Emil hastig. Er wandte sich ab und stürmte in Richtung Eiscafé los. „Ich melde mich!“

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