Kompromisse
„Wohin
fahren wir eigentlich?“, fragte Ina mit verschränkten Armen vom
Rücksitz aus, als Martin auf die Autobahn auffuhr.
„An
die Nordsee“, war die einzige Auskunft, die sie von ihm bekam.
Genug Grund also nachzuhaken:
„Was
hat das denn nun mit Emil zu tun? Und warum fahren wir dahin?“
Diesmal
antwortete Sonia ihr und Ina merkte, dass sie kurz überlegen musste:
„Weißt du, das ist wirklich eine sehr ernste Angelegenheit und es
ist besser, wenn du nicht zu viel weißt.“
„Und
warum nehmt ihr mich dann mit?“
„Weil
Martin darauf bestanden hat und gesagt hat: ohne Ina fahren wir nicht
Emil retten“, erwiderte Sonia ohne mit der Wimper zu zucken und
Martin ließ es deshalb einfach so stehen, da es für Ina eine
hinreichende Erklärung war.
„Woher
wisst ihr überhaupt, dass Emil in Gefahr ist?“
„Er
hat ne Email geschrieben“, hüstelte Martin.
„Warum
sollte er eine Email ...?“, warf Ina ein, bis sie sich des
Wortspiels bewusst wurde und nur trocken lachte. „So gleich klingt
das jetzt auch nicht!“
„Eigentlich
wirklich nicht“, pflichtete auch Sonia ihr bei.
„Kam
aber schon häufiger zu Verwechslungen, bei denen jemand einen Emil
im Postgang hatte“, ergänzte Martin, was Sonia nun überhaupt
nicht lustig fand und ihn lieber ein „Fahr lieber“ an den Kopf
warf.
„Könntet
ihr vielleicht das Radio anmachen?“, fragte Ina dazwischen. „Es
ist so ruhig hier hinten.“
Martin
schaltete das Radio an. „Das Spritgeld teilen wir doch, oder?“
Keine Antwort. „Ooooooder?“
Erst
an der nächsten Raststätte, als Ina auf Toilette musste, sprach
Martin wieder mit Sonia: „Woher wusstest du, dass Emil in Gefahr
ist?“
„Wusste
ich nicht, ich habe Ina erzählt was sie hören ... Oh mein Gott!
Emil ist auch in Gefahr!“, brach es aus Sonia heraus.
„Was
meinst du wohl, wo Marie ist?“
„Sie
hat Emil entführt und ...“ Sonia schlug sich die Hände vor den
Mund, als wagte sie es nicht ihren eigenen Satz zu vollenden.
„Ach
Unsinn, Emil geht’s gut“, winkte Martin unbeeindruckt ab.
„Solange er Lilian nicht zu nahe kommt.“
Nur
langsam ließ Sonia daraufhin die Hände sinken. „Was hast du
eigentlich gegen Lilian? Ist es immer noch wegen der Sache?“
Martin
verschränkte die Arme. „Als ob mich das noch interessieren würde.“
„Aber
du hast immer noch etwas gegen sie.“
„Ja,
weil Emil Gefahr läuft all seine Lebensenergie an sie zu verlieren.“
Martins Stimme war zum Zerreißen gespannt.
„Aber
Lilian kann das kontrollieren.“
„Kann
sie eben nicht.“
„Du
kannst ihr das doch nicht ewig nachtragen!“
„Sie
kann es eben nicht kontrollieren!“
Sonia
verstummte für einen Moment. Dann fragte sie zögernd: „Warum
nicht?“
„Emils
Quelle ist zu stark.“
„Das
heißt es gibt keine Chance? Keine klitzekleine Chance?“
Martin
schüttelte den Kopf. „Es gibt keine Möglichkeit.“
„Aber
das ist doch nicht fair. Seit dem Friedensabkommen mit den Dämonen
sollte man doch meinen, alle wären gleichberechtigt.“
„Das
hat doch damit nichts zu tun. Es liegt in der Natur eines Dämons zu
zerstören. Deshalb müssen wir auch auf sie aufpassen, weil sie es
selbst nicht können.“
„Lilian
ist anders!“, warf Sonia ein.
„Ich
geb's auf. Wir drehen uns im Kreis“, seufzte Martin. „Vertrau mir
einfach. Ich regel das schon.“
„Du
hast einen Plan?“, fragte Sonia verwundert, als hätte sie ihm das
überhaupt nicht zugetraut.
„Du
passt auf Lilian auf, dass sie keinen Unsinn anstellt, den ich später
wieder ausbügeln müsste und ich kümmere mich um den Rest.“
„Den
Rest?“ Sie sah ihn ungläubig an.
„Na
aufpassen, dass sonst niemand zu schaden kommt.“ Martin sah auf,
als Ina sich näherte. „Wenn man vom Teufel spricht ...“
„Was
habe ich verpasst?“, fragte Ina neugierig, als sie angekommen war.
„Nichts“,
antwortete Martin kurz angebunden.
„Lass
uns weiter fahren“, lächelte Sonia. „Wir wollen doch nicht zu
spät kommen.“ Dann warf sie Martin noch einen bösen Blick zu,
bevor sie einstieg.
Emil
folgte Marie durch den ausladenden Flur ins Wohnzimmer. Dort
angekommen staunte er nicht schlecht, als er das offene Wohnzimmer
sah in dessen Mitte ein gemütlicher Couchbereich mit einem riesigen
Fernseher thronte. Spontan hätte Emil den Fernseher auf mindestens
60 Zoll geschätzt, auch wenn er keinen Vergleich hatte. Unweigerlich
stellte er sich vor, wie es wohl wäre, auf so einem großen
Fernseher an einer Konsole zu zocken. Auch wenn er PC-Spieler war,
für so einen Fernseher würde er eine Ausnahme machen.
Und
während er noch wohl einige Momente fasziniert in die Gegend
gestarrt hatte, hatte er nicht gemerkt, dass Marie in die angrenzene
Küche verschwunden war. Umso mehr irritierte es ihn, als ihn die
Küchentheke plötzlich fragte, ob er etwas trinken wolle.
Er
wandte seinen Blick zur Küche und sah Marie, wie sie auf die Platte
abgestützt, auf seine Antwort wartete. Ihre hellblauen Augen
fixierten ihn. Dummerweise fiel ihm jetzt partou die Frage nicht mehr
ein, die sie gestellt hatte. Was hatte sie noch einmal gefragt? Sie
sah einfach so hübsch aus, wenn sie ihn so ansah.
„Wasser?
Saft? Wein?“, hakte Marie noch einmal mit bereits leicht genervtem
Unterton nach.
„Gibt
es auch Cola?“, fragte Emil.
„Nein.
Hat zu viel Zucker“, sagte Marie und lächelte dabei als wäre es
eine Selbstverständlichkeit und Emil fühlte sich, als hätte er
wieder etwas falsches gesagt.
„Gut,
dann Wasser“, erwiderte er deutlich eingeschüchtert.
„Mit
oder ohne Kohlensäure?“
„Mit.“
Marie
kam also mit einem Glas mit noch frisch sprudelndem Wasser zurück
und drückte es Emil in die Hand. „Also, wie findest du das Haus?“,
fragte sie, während sie sich setzte.
Emil
wusste nicht recht, was er ihr darauf antworten sollte. „Schön.
Wirklich schön“, war das Einzige, das ihm einfiel.
„Ich
dachte wir könnten uns einen schönen Abend machen“, fuhr Marie
fort, als hätte sie Emils Antwort überhaupt nicht interessiert.
„Vielleicht eine DVD schauen.“
Emil
rieb sich die juckenden Augen. Die Kontaktlinsen, die Marie ihm
gegeben hatte, störten ihn immer noch ein wenig.
„Hast
du eine Idee für einen Film?“ Sie sah ihn mit großen Augen
fragend an.
Halt.
Das konnte nur eine Fangfrage sein. Wenn er jetzt einen Film
vorschlug, der ihm gefiel, aber ihr nicht, wäre das der größte
Fehler seines Lebens. Er musste erst überlegen:
Ein
Film, der einer Frau gefällt. Irgendeinen musste es doch geben.
Wieso hatte er nicht wie Martin eine Schwester?
„Wir
könnten Titanic schauen“, schlug Marie vor und Emil war im ersten
Moment nur erleichtert, dass es nicht High School Muscial war.
Bis
ihm auffiel, dass das eine recht dramatische Inszenierung werden
konnte, wie das Schiff auf dem 60 Zoll-Fernseher unterging.
„Meinetwegen“,
entgegnete er nur, das Bild vor seinen Augen nicht mehr loswerdend
und in sich hineingrinsend.
„Ich
hole eben die DVD.“ Marie erhob sich von ihrem Platz und warf ihm
im Gehen noch ein Lächeln zu, das Emil schmelzen ließ. Der Abend
konnte doch nur gut werden. Er, Marie und die Titanic in HD und
Großformat.
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