Noch
vor dem Wecker wachte Emil am Samstag auf. 10:43 Uhr. Er konnte kaum
glauben, wie früh es noch war. Fast noch in der Nacht!
Nur
langsam schlich er ins Bad: Duschen, Zähneputzen, das Gesicht mal
wieder rasieren und dann erstmal frische Kleidung. Auf die Uhr
gucken: 11:12 Uhr. Warum geht die Zeit nicht um?
Zum
Frühstück eine Schüssel Cornflakes mit Milch. 11:25 Uhr. Das war
unmöglich. Sonst raste die Zeit doch immer.
Emil
setzte sich danach erstmal an den Rechner, doch er konnte sich kaum
konzentrieren. Marie würde zu ihm kommen. Zu ihm! Nach Hause!
Moment. Kam sie das überhaupt? Sie hatten überhaupt keinen
Treffpunkt ausgemacht. Sie kam doch zu ihm? Ganz sicher. Vielleicht
doch nicht ... Er musste sie anrufen! Aber er hatte ihre Nummer
nicht.
Keine
Minute später hatte er Telefon und Telefonbuch in der Hand, doch
dann überkamen ihn Zweifel. Ihr Nachname. Er erinnerte sich dunkel
daran. Aber was sollte er sagen, wenn er sie dann auch wirklich
anrief? Telefonieren gehörte eindeutig zu einer seiner größten
Abneigungen. Man musste dann immer mit fremden Menschen reden und
Emil wusste nie, was er in solchen Situationen sagen sollte.
So
saß er dann eine knappe viertel Stunde mit dem Telefonbuch in der
Hand und dem Hörer in der Anderen da und grübelte verzweifelt, als
das Telefon plötzlich klingelte und er es vor Schreck fast fallen
ließ.
Zunächst
dachte Emil es sei Marie, doch noch während er abnahm, wurde ihm
klar, wie unwahrscheinlich das war. Doch als sich die Stimme einer
jungen Frau meldete, stutzte er.
„Emil?“
Das war nicht Marie.
„Eh.
Ja?“ Wer zur Hölle war das?
„Ich
habe nicht viel Zeit. Bitte hör mir genau zu.“ Die Frau sprach so
schnell, dass sich ihre Stimme fast überschlug.
„Wer
ist denn da?“
„Egal
was du heute vorhast. Bleib zu Hause und lass niemanden rein!“
Emil
machte nur ein zustimmendes Geräusch, während er sich seinen Teil
dachte. Es gab schon mal bessere Telefonstreiche.
„Hörst
du! Niemanden!“
Er
nickte nur, bis ihm einfiel, dass die Frau ihn ja überhaupt nicht
sehen konnte.
Dann
legte sie mit einem Mal klickend auf und das Telefon wurde still.
Emil ließ verwirrt das Telefon sinken, dachte kurz darüber nach,
zuckte mit den Schultern und stand auf. Dass er eigentlich hatte
Marie anrufen wollen, war ihm entfallen.
Punkt
14 Uhr klingelte es an der Tür. Emil hatte die letzten 10 Minuten
wartend auf der Treppe verbracht und sprang direkt auf. Doch bevor er
nach der Türklinke griff, hielt er für einen Moment inne. Er dachte
an den Telefonanruf, ach alles Unsinn, und öffnete mit rasendem
Herzen die Tür.
Es
war diesmal wirklich Marie, die ihn höflich begrüßte und eintrat.
Kurze
Zeit später saßen die Beiden in Emils Zimmer. Sie lehnte zunächst
sowohl Trinken als auch Essen ab, sodass Emil sich vor Nervosität
selbst ein Colaglas nach dem anderen hineinschüttete, während sie
an seinem Schreibtisch saß.
Zunächst
gingen sie durch, was die Themen der Klausur waren und schon dabei
wurde Emil bei den ganzen Zahlen und Formeln schwindelig.
Möglicherweise lag es aber auch an dem Liter Cola. Seine
Finger zitterten nervös und er hoffte inständig, Marie würde ihn
nichts Konkretes fragen, das er nicht beantworten konnte. Dann
war die erste Aufgabe dran, die die Beiden selbstständig lösen
wollten. Marie saß an
seinem Schreibtisch, Emil auf seinem Bett. Etwas
Abstand von Marie zu haben beruhigte zwar seine Nerven, doch
wie sehr er auch grübelte, er hatte keinen blassen Schimmer und so
lugte er von seinem Blatt und sah hinüber zu Marie, die fleißig
schrieb. Verstand sie das etwa doch?
Das
lange glatte Haar fiel ihr elegant über die Schultern und schimmerte
golden im Sonnenlicht. Sie sah aus wie ein Engel. Wunderschön.
Für
einige Zeit starrte Emil sie einfach nur an. Dann überlegte er, ob
er zu ihr hinüber gehen sollte und sie fragen sollte, ob sie es
verstand. Emil zögerte. Sein
Herz raste. Er konnte
doch nicht. Warum eigentlich nicht? Natürlich konnte er.
Mit
zitternden Beinen und
einem mulmigen Gefühl im Bauch
stand er auf und ging zum Schreibtisch hinüber. Vorsichtig beugte er
sich über ihre Schulter und sah auf das Geschriebene auf ihrem
Blatt. Er verstand überhaupt nichts.
„Was
ist das?“, fragte er verwirrt. Die Zeichen hatte er noch nie
gesehen und er war in den Physikstunden zumindest körperlich
anwesend gewesen.
„Ach
nichts“, erwiderte Marie und lachte spitz auf. „Ich kritzle nur
etwas, bis mir eine Idee kommt.“
Emil
stützte sich mit den Händen auf dem Tisch auf, um sich weiter nach
vorne zu beugen. Die Zeichen auf ihrem Blatt erinnerten ihn an
irgendwas. Runen oder so etwas, die er aus Fantasybüchern kannte.
Doch
dann erstarrte er schlagartig, als er Maries feine Finger auf seiner
Hand spürte. Ein heißer Schauer breitete sich über seinem ganzen
Arm aus und drang tief in ihn ein. Er konnte sich nicht bewegen und
er wollte sich auch überhaupt nicht bewegen. Sie sah zu ihm auf und
hielt ihn mit ihren wunderschönen hellblauen Augen gefangen.
Ein
lautes Klirren erschütterte plötzlich den Raum und riss Emil aus
seiner Trance. Das Fenster zerbarst in kleine Splitter die auf den
Teppich nieder regneten, als etwas großes ins Zimmer purzelte. Im
ersten Moment dachte Emil, dass Lara Croft gerade in sein Zimmer
gerauscht wäre: Der geflochtene Pferdeschwanz, schwarzes Top und
Jeans. Doch nicht weniger erstaunt war er, als sich das hektisch vom
Boden aufrappelnde Mädchen als Lilian entpuppte.
Kaum
war sie wieder auf den Beinen, kam ein Mann hinter ihr durchs Fenster
und riss sie erneut um. Sie
landeten auf dem Boden. Der Mann versuchte sie mit seinen Armen zu
umgreifen und festzuhalten. Doch Lilian schaffte es ihre Arme aus dem
Griff zu befreien und schlug mit den Fäusten auf seinen Kopf ein. Er
zog den Kopf ein, was ihn allerdings nicht vor den Schlägen
schützte. Scheinbar wollte er Lilian um keinen Preis loslassen. Als
sie zum Schlag etwas zu weit ausholte, packte der Mann, ohne den Kopf
zu heben, ihren Arm. Zunächst erstaunt, schaltete Lilian jedoch
schnell, riss das Knie hoch und traf hart sein Brust und Kinn, was
ihn für einen Moment in sich zusammen fallen ließ. Hastig rutschte
Lilian nach hinten, um sich aufzurichten. Jedoch erholte der Mann
sich und langte nach ihrem Fuß. Er bekam sie am Knöchel zu packen
und zog sie zu sich heran. Lilian fiel hinten über. Mit dem freien
Bein trat sie nach ihm. Er hielt schützend den Arm vor seinen Kopf
und hatte nach zwei vergeblichen Trittversuchen von Lilian auch ihr
zweites Bein im Griff. Durch Überkreuzen der Bein zwang er sie ihre
Position auf den Bauch zu verlagern. Unglaublich schnell war er über
ihr und drückte ihren ausgestreckten Arm zu Boden. Lilian schrie vor
Schmerz auf, blieb dann aber schwer keuchend starr unter ihm liegen.
Fassungslos
starrte Emil auf das Geschehen, das sich ihm bot. Aber er verstand
einfach nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Noch bevor er
irgendetwas tun konnte, war es auch schon vorbei und Stille legte
sich über den Raum, in der er nur noch Lilian leise wimmern hörte.
Der
Mann richtete sich langsam auf und Emil durchfuhr der Schock, als er
merkte, dass er den Mann schon einmal gesehen hatte. Der Typ der mit
Marie im Café gesessen hatte! Was machte der denn jetzt hier? Und
...
„Was
zum Teufel ist hier eigentlich los?“, brach es aus Emil heraus und
alle im Raum starrten ihn verwirrt an. Darauf folgte erneut eine
endlos lange gespannte Stille, in der Emil sein eigenes Herz schlagen
hörte. Langsam hob und senkte sich seine Brust, bis die Türklingel
im Erdgeschoss überraschend anfing zu schellen.
Alle
schienen jetzt Emil anzusehen und dieser wusste überhaupt nicht wo
er zuerst hin gucken sollte, bis Lilian aus dem Klammergriff keuchte:
„Geh schon!“
Das
ließ Emil sich nicht zwei Mal sagen und unter Schock eilte er aus
dem Zimmer die Treppe hinunter, öffnete die Tür und da stand ihm
auch schon Ina gegenüber, die ihn überlegen angrinste, während sie
ihm ein
Buch unter
die Nase schob mit dem Wort:
„Succubus!“
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