(K)eine
ruhige Minute
„Es gab eine Zeit, in der Nixen,
Nymphen und andere Wesen in Frieden nebeneinander existierten. Sie
waren Überbleibsel aus der Herrschaft der Naturgeister, die einst
die ganze Erde beherrschten. Sie gaben den Nymphen die Wälder, wo
sie über die Bäche und Bäume herrschten, den Nixen das Meer und
die Macht über die Ungeheuer der See und den Malstrom. Doch die
Menschen verzehrten sich nach der Magie, die diesen Wesen gegeben
war. Es dauerte nicht lange, da gab es Menschen, die das Geheimnis
der Magie entdeckten. Sie hielten es allerdings verschlossen und
gaben es nur an ihre Kinder weiter. Nicht jeder war dem gewachsen und
so zerbrachen jene daran, denen es nicht vergönnt war das Geheimnis
zu verstehen. Dennoch verbreitete sich das Geheimnis immer weiter auf
der Erde. Praktisch überall gab es magisch begabte Menschen, für
die es viele Namen gab. Hexen, Zauberer, Magier, Schamanen; es lag an
ihnen wie sie sich bezeichneten.
Auch wenn es Menschen gab, denen es
bestimmt zu sein schien, Magie zu wirken, brachte die Entdeckung des
Geheimnisses das Gleichgewicht der Naturgeister durcheinander. Die
Folge war, dass Dämonen in die Gedanken der Menschen eindrangen und
aus ihren Ängsten und den Begierden wurden reale Wesen.
Im Mittelalter gewannen die Dämonen an
Überhand, denn die Menschen waren schwach und die Nahrung für
Dämonen reichlich. Als die Ängste größer wurden und die Gedanken
dunkler, wuchs auch die Macht der Dämonen. Aus der Energie, die sie
den Menschen entzogen, entwickelten sie Fähigkeiten, die sie
schneller, weniger abgreifbar, anpassungsfähiger und damit alle
anderen Wesen überlegenden machten.
Es war der Punkt an dem sich die
verstreuten Hexen und Zauberer zusammen schlossen, um die Menschen
nicht diesem Schicksal zu überlassen. Jeder einzelne von Ihnen hatte
immer nur an seiner eigenen Magie gearbeitet. Nun aber kamen Magier
unterschiedlichster Formen zu einer Zweckgemeinschaft zusammen, um
die Dämonen aufzuhalten.
Ein Krieg gegen die Dämonen begann, in
der die Zauberkundigen trotz ihrer verschiedensten Magien immer
wieder zurück geschlagen wurden. Doch sie gaben nicht so schnell
auf. Schließlich besannen die Magier sich einer Magieform, die mit
der Zeit unter ihnen fast in Vergessenheit geraten war: Der
Namensmagie.
Namensmagie bedeutet eine magische
Bindung aufzubauen. Kannte ein Magier den Namen eines Dämons, hatte
er die Macht über ihn. Dämonen waren aufgrund ihrer Herkunft nicht
in der Lage Magie zu wirken und konnten deshalb nicht die
vollständige Macht dieser alten Verbindung nutzten. Dennoch konnten
ein Dämon sich mit dem Namen eines Magiers einen Vorteil
verschaffen, da er durch das Bündnis nur noch von der Hand dieses
Magiers sterben konnte.
Der Einsatz dieser Magie war
gefährlich, doch machte sie die Magier unglaublich stark. Viele
Dämonen wurden getötet. Aus dem Krieg wurde eine Dämonenjagd, die
die einzelnen, verstreuten Dämonen auszulöschen versuchte. Die
Dämonenjäger gewannen unter den Magiern an Macht. Eine solche
Macht, dass ihr Zusammenschluss wuchs und sich zu dem entwickelte,
was es heute ist: der Rat der Magier.
Auch die Nymphen, Nixen und alle
anderen Wesen, die vorher unbeteiligt ihren Dingen nachgegangen
waren, schlossen sich dem Rat der Magier an, denn es war sicherer auf
der Seite des Siegers zu stehen.
Die letzten Dämonen, die die Hetzjagd
überlebten, trafen ein Abkommen mit den Magiern. Sie würden keinem
Menschen schaden, dafür sollten sie in Frieden weiter leben können.
Sie waren aber von da an von allem ausgeschlossen, das die magische
Gemeinschaft aufbaute.
Aufgrund dieser Ungleichheit gründeten
die Nixen vor einigen Jahrzehnten ihre eigene vom Rat unabhängige
Verwaltung. Sie fordern bis heute eine Eingliederung und damit
bessere Überwachung der Dämonen...“
„Das klingt als wäre es aus einem
Fantasyroman“, warf Emil ein, der Lilian bis zu diesem Punkt
aufmerksam zugehört hatte.
„Ist es aber nicht. Es ist unsere
Geschichte. Zumindest die offizielle Version“, entgegnete Lilian
und Emil bemerkte die Gereiztheit in ihrer Stimme. Rasch setzte er
dazu an, sich zu entschuldigen.
„Schon gut.“ Lilian legte
beruhigend die Hand auf seine Wange. „Für dich muss das alles
merkwürdig klingen.“
„Nein, ich finde nicht, dass es
merkwürdig klingt!“, betonte Emil. „Tut mir Leid, dass ich das
so gesagt habe.“
„Schon gut“, erwiderte Lilian
beschwichtigend und legte lächelnd den Kopf auf seine Schulter.
Sie lagen auf seinem Bett. Die letzten
Wochen war Lilian öfter bei ihm gewesen. Sie hatten viel Zeit mit
Küssen verbracht und nur wenig damit, darüber zu reden, was
eigentlich passiert war.
Es war erst einige Wochen her gewesen,
dass Emil überhaupt erfahren hatte, dass die Welt voll war mit
Übernatürlichem, das normale Menschen nicht erkennen konnten.
Marie, ein hübsches und unnahbares
Mädchen, in das Emil verliebt gewesen war und das ihn bis dato nicht
einmal wahr genommen hatte, hatte plötzlich Interesse an ihm gehegt.
Denn Emil besaß eine Fähigkeit, die sie „Quelle“ nannten. Was
eigentlich falsch war, es war eher eine Art Katalysator, der Magie
verstärkte. Marie als Hexe wollte Emils Quelle benutzen, um ein
Schulprojekt auf der Hexenschule fertig zu bekommen, bei dem sie sich
in den Kopf gesetzt hatte einen Stein der Weisen herzustellen. Doch
ihr Plan Emil zu bezirzen schlug fehl, als Lilian sich einmischte.
Sie war eine Succubus, ein Dämon, der
Männern die Lebensenergie entziehen konnte und deshalb bei anderen
als Männerhasserin bekannt war. Doch sie versuchte mit allen Mitteln
Marie davon abzuhalten Emils Quelle zu bekommen. Und es gelang ihr
durch „Abmachungskausalität“
Emils Quelle zu versiegeln und sie damit für Marie unantastbar zu
machen. Auch Emils starke Anfälligkeit für Lilians Succubuskräfte
waren mit der Versiegelung verschwunden und er wurde praktisch immun
gegen ihre Anziehungskraft.
Erst
dann hatte Emil bemerkt, wie sehr er sie auch ohne ihre magischen
Reize mochte. Sie war ein
tolles Mädchen, hübsch, hatte langes dunkelblondes Haar und einen
perfekten, kurvigen Körper.
Spätestens als Lilian beim Anblick von
Emils Rechner gefragt hatte, was er denn für eine Grafikkarte darin
hätte, hatte Emils Herz für einen Moment ausgesetzt. Als er dann
auch noch erfuhr, dass sie noch bis vor einigen Monaten World of
Warcraft gespielt hatte, Half Life nicht nur vom Hören her kannte,
und einen schnellen Rechner besaß, kam Emil nicht mehr aus dem
Staunen raus, über dieses Mädchen, das er vorher nicht einmal
gekannt hatte und das beinahe mehr mit ihm gemein hatte, als sein
bester Freund.
„Du hast nie gefragt!“, hatte sie
gesagt und ihn angelächelt. Genau so wie sie es gerade getan hatte,
während ihre dunkelblauen Augen glänzten.
Lilian hob den Kopf und küsste seine
Wange, wobei sie fast an seiner Brille hängengeblieben wäre.
„Kommst du denn damit klar?“
„Womit?“, fragte Emil und legte den
Arm um sie.
„Damit, dass du so wenig weißt. Über
unsere Welt, Magie und das alles.“
„Ich dachte, du erzählst mir einfach
alles.“
„Das ist soviel, das kannst du dir
gar nicht alles auf einmal merken!“
„Du könntest es versuchen?“,
schlug Emil vor.
„Wenn ich wirklich alles wissen würde
...“ Lilian drehte sich zu ihm und legte den Arm um seine Brust.
„Und ich glaube, das Meiste lernst du noch früh genug.“
Kaum einen Augenblick später berührten
ihre weichen Lippen seine. Sie küsste ihn sanft und vorsichtig und
während sich ihre Zungen berührten, schmiegte sie sich an ihn. Emil
spürte jede Rundung ihres Körpers an seinem eigenen. Sie war
unglaublich weich.
Er verlor sich beinahe in ihrem Kuss,
als sie ihn plötzlich fest packte und mit aller Kraft aufs Bett
drückte. Im gleichen Moment hörte Emil das Splittern von Glas und
Lilian aufschreien.
Danach war alles still. Emil öffnete
vorsichtig die Augen. Lilian lag über ihm und ihr Gesicht war
Schmerz verzerrt. Sie versuchte etwas zu sagen, kippte aber zur
Seite, weil ihre Arme sie nicht mehr trugen. Emil griff nach ihrem
Arm und verhinderte, dass sie vom Bett fiel. Dann fuhr er zum Fenster
herum. Die Scheibe war vollständig zerborsten. Die Splitter lagen
überall auf dem Bett und im Zimmer verteilt. Doch hinter dem Fenster
war nichts.
Im gleichen Moment wurde Emil nach
hinten auf die Matratze gepresst und etwas schweres schnürte ihm die
Kehle zu. Er versuchte Luft zu holen, sich zu bewegen. Doch etwas
hielt ihn so fest umschlungen, dass seine Muskeln brannten bei den
Versuchen sich loszureißen. Vor seinen Augen war nichts. Nur die
Zimmerdecke. Der Schmerz im Hals wurde unerträglich. Sein Kopf
drehte sich.
Ein lautes Knacken hallte in seinen
Ohren und mit einem Mal ließ der Druck los und seine Lungen füllten
sich schlagartig wieder mit Luft. Er hörte einen dumpfen Aufprall.
Dann beugte Lilian sich über ihn.
„Emil?“, sagte sie mit atemloser
Stimme. „Alles ok?“
Trotz seiner verrutschten Brille konnte
Emil die Leere in ihren Augen erkennen, mit der sie ihn ansah. Er
schaffte es nur zu nicken. Daraufhin huschte ein schwaches Lächeln
über ihr Gesicht, bevor ihre Arme nachgaben und sie auf seiner Brust
zusammenbrach.
Das erst löst Emil aus seiner
Schockstarre. Sein Blick fiel erst jetzt auf ihren Rücken, aus dem
vergilbte Bolzen herausragten, deren Oberfläche im Licht merkwürdig
schimmerte.
Emil wusste sofort, was zu tun war. Er
richtete sich hastig auf und griff mit den Händen nach dem ersten
Bolzen. Doch auch wenn er mit aller Kraft daran zog, der Bolzen
bewegten sich nur einige Zentimeter. Seine Finger verkrampften sich,
doch er ignorierte den Schmerz, denn er wusste, er musste sie um
jeden Preis herausholen.
Nur langsam löste sich der Bolzen aus
Lilians Rücken. Dass damit auch ein Rinnsal Blut herauskam,
ignorierte Emil, denn kaum war der Erste gezogen, begann die Wunde
darunter, sich zu schließen.
Als Emil endlich den letzten Bolzen
herauszog, spürte er, wie Lilians Körper sich deutlich entspannte.
Auch er fiel erschöpft auf das Bett zurück. Der letzte Bolzen
rollte ihm aus der Hand.
Für einige Augenblicke lagen sie beide
einfach nur da. Emil spürte erst jetzt bewusst, wie Lilians Brust
sich nun auf seiner eigenen hob und senkte und hörte wie ihr Atem an
seinem Ohr ruhiger wurde.
„Danke“, flüsterte sie schwach und
küsste seine Wange.
„Nein, ich muss dir danken!“ Emil
realisierte immer noch nicht, was da gerade passiert war.
Stöhnend erhob Lilian sich vom Bett.
„Das ist ja gerade nochmal gut gegangen“, sagte sie in einem
Tonfall, als wäre gerade nichts weltbewegend geschehen. Emil
beobachtete sie, wie sie im Raum stand und den Kopf zur linken Seite
gelegt hatte, als würde sie etwas auf dem Boden eindringlich
betrachten. Emil richtete sich auf, sah aber nichts, das für Lilian
irgendwie interessant sein könnte. Überall lagen Scherben, auch auf
dem Bett und Emil schob eine besonders nahe liegende ein paar
Zentimeter zur Seite, um sich nicht daran zu schneiden.
„Ist irgendwas?“, fragte er,
während er seine Brille richtete.
Lilian stieß einen Seufzlaut aus und
schob den Fuß knapp über dem Boden durch die Luft. Er schien an
etwas unsichtbarem hängen zu bleiben. „Verdammter Ghul!“
Als sie aufsah, fing sie Emils
verständnislosen Blick auf und einige Sekunden starrten sie sich
gegenseitig an, bevor Lilian mit einem Mal die Einsicht kam:
„Du kannst ihn nicht sehen, oder?“
Emil schüttelte den Kopf.
Lilian grinste. „Ah. Achso ja. Also
das ist ein Ghul.“ Sie deutete auf den Boden unter ihr.
Diese Erklärung half Emil wenig
weiter, sah er doch nicht einmal einen Körper.
„Du kannst ihn nicht sehen“, fuhr
sie fort. „wie du auch meine wahre Gestalt als Succubus nicht
siehst. Ghule sind Untote, die sich von menschlichen Leichen
ernähren. Dieser hier hatte wohl beschlossen, seine Leichen selbst
zu machen.“
Langsam erinnerte sich Emil an die
Ghule in Spielen und ein Bild tauchte in seinem Kopf auf, von einem
dürren Wesen mit fader über die Knochen gespannter Haut und einer
verzerrten Fresse mit einer Reihe scharfer Reißzähne und mit einem
Mal war er froh nichts zu sehen.
„Zum Glück sind die Knochen von
Ghulen so schwach, dass man ihnen trotz durchlöchertem Rücken noch
leicht das Genick brechen kann.“ Sie klang amüsiert und grinste.
Das Knacken schoss Emil durch den Kopf.
Das war also das Geräusch, wenn Knochen brachen. Bei dem Gedanken
daran wurde ihm ganz anders.
„Danke dafür.“ Er spürte wie
trocken seine Stimme war.
„Kein Problem. Das war trotzdem sehr
knapp. Ich frage mich was er wollte ...“
Emil zuckte die Schultern: „Dich
töten?“
„Ghule verlassen für gewöhnlich nie
ihre Friedhöfe. Was, wenn ein Nekromant...“ Lilian sagte das mehr
zu sich, als würde sie nachdenken.
„Sag mal, lässt dich das vollkommen
kalt?“, fragte Emil verdutzt und Lilian sah auf.
„Ehrlich gesagt, schon. Auch wenn das
mit den Schmerzen immer nervig ist.“ Sie hielt kurz inne. „Es tut
mir nur Leid, dass du da mit rein gezogen wurdest.“ Lilian lächelte
aufmunternd und kam dann auf Emil zu. Die Hände stützte sie links
und rechts neben ihm auf dem Bett ab und küsste ihn sanft auf die
Lippen.
„Mach dir um mich keine Sorgen. Mich
kriegt man so schnell nicht klein.“ Das Lächeln war immer noch
nicht von ihrem Gesicht gewichen und Emil hatte das Gefühl bereits
alles vergessen zu haben, zumindest fast alles.
„Hast du eine Idee, wie wir die
Leiche jetzt hier raus schaffen?“, fragte Lilian plötzlich und
nickte zu dem für Emil leeren Fleck am Boden hinüber.
„Raus schaffen?“, wiederholte Emil.
„Löst die sich nicht einfach nach einiger Zeit auf?“
Lilian sah ihn kurz verwundert an.
„Jein. Du denkst an World of Warcraft, oder? Der Körper despawnt,
also verschwindet, wirklich irgendwann. Das nennt man Verwesung,
dauert lange und ist ekelig. Irgendein Ort, wo wir ihn lagern
können?“
„Vielleicht in unserer Garage?“,
sagte Emil nach kurzem Überlegen. „Meine Eltern gehen da
eigentlich nie rein, weil da zu viel Chaos drin ist.“
„Schaffen wir das zu zweit?“
„Glaub' schon“ Nachdem Lilian sich
bereits aufgerichtet hatte, stand Emil vorsichtig vom Bett auf, um
nicht in eine der Scherben zu treten oder zu greifen. Lilian nahm
seine Hand und führte sie hinunter zum Boden.
„Nicht erschrecken“, sagte sie,
bevor Emils Hände etwas Kaltes und seiner Meinung nach arg
Schleimiges berührten. Der Geruch von Verfaultem drang in seine Nase
und er musste stark gegen den Drang ankämpfen nicht zurück zu
zucken.
„Du musst hier anpacken“, wies
Lilian ihn an und Emil schloss seine Hand. „Jetzt anheben.“
Emil hatte gerade erst angesetzt, das
unsichtbare Etwas aufzuheben, da hatte Lilian ihre Seite bereits auf
Brusthöhe und die Leiche rutschte erst einmal in Emils Richtung. Mit
dem vollen Gewicht drückte sie seinen Magen ein. Er stöhnte auf und
Lilian ließ die Hände schnell ein Stück tiefer sinken, während
sie sich mehrmals bei Emil dafür entschuldigte.
Es dauerte, bis sie den Ghul die Treppe
hinuntergetragen hatten, weil Emil die Gliedmaßen immer wieder nach
unten weg rutschten und er nicht wusste wohin er greifen sollte, um
sie wieder zu fassen zu kriegen.
„Habt ihr eine direkte Tür zur
Garage?“, fragte Lilian, als sie auf dem Treppenabsatz angekommen
war.
„Ja, rechts 'rum. Nein, das andere
rechts.“
Etwas unbeholfen bugsierten sie die
Leiche um die Ecke und schließlich durch die schmale Tür in die
Garage hinein. Der Ghul war doch massiger, als Emil ihn sich nach
Lilians Beschreibung vorgestellt hatte. Er hatte damit gerechnet,
dass er filigraner wäre.
Als er endlich die unsichtbare Last
fallen lassen konnte, war es wie ein Segen. Er konnte wieder frei
atmen, nur seine Hände fühlten sich ekelig nass an.
„Hast du ein Taschentuch?“, fragte
er Lilian und fuhr erschrocken herum, als das Garagentor plötzlich
aufging und ihm Martins Stimme antwortete:
„Ich hab eins!“
„Was machst du hier?“, fragte Emil
verwirrt und beobachtete wie sein bester Freund gelassen das
Garagentor hinter sich schloss und auf sie zukam.
„Sorry. Ich bin wohl etwas zu spät.“
Martin grinste und besah sich dann den Boden vor Emils Füßen.
„Meine Vorhersagen sind nicht mehr so zielsicher, seit ich nicht
mehr primär für dich zuständig bin. Ich hatte gehofft euch
wenigstens beim Entsorgen der Leiche zu helfen.“
„Wie? Du hast davon gewusst?“,
platze es aus Emil heraus, doch noch während er sprach, wurde ihm
schon klar, dass diese Frage unnötig war. Martin war ein Seher. Er
wusste immer, was passieren würde. Nur nicht immer sofort, wenn er
selbst nicht dabei war. Daran hatte Emil sich in den letzten Wochen
immer noch nicht gewöhnt. Besonders da Martin jetzt manchmal vergaß
so zu tun, als wüsste er nicht wissen, was als nächstes passierte.
Emil seufzte. „Schon gut.“
„Den hast du ganz schön zugerichtet,
Lilian“, bemerkte Martin und Lilian verdrehte daraufhin nur die
Augen. „Aber viel wichtiger ist: Was wollte er eigentlich hier?“
„Keine Ahnung“, seufzte Lilian
schulterzuckend. „Sag du es mir.“
„Wenn ich es wüsste, würde ich
nicht fragen“, erwiderte Martin kalt. Emil bemerkte die angespannte
Stimmung zwischen den beiden.
Martin und Lilian konnten sich noch nie
leiden. Zumindest solange Emil Martin kannte. Das hatte er zwar auch
erst letztens heraus gefunden, aber es war wohl etwas, das vor langer
Zeit zwischen den beiden vorgefallen war, dass zumindest Martin
Lilian immer noch nicht verziehen hatte. Emil glaubte sich daran zu
erinnern, dass Ina oder Sonia gesagt hatte, dass es mit Lilians
Succubuskräften zusammen hing.
„Aber ...“, fügte Martin hinzu.
„Es gibt nicht so viele registrierte Nekromanten, die in Frage
kämen.“
„Ein bekannter Nekromant würde nicht
riskieren mit einem fremdgesteurten Ghul zu töten. Er würde sofort
verdächtig sein.“
„Vielleicht war es nicht einmal ein
Nekromant.“
Emils Blick wanderte zu dem leeren
Fleck am Boden.
„Ghuls verirren sich aber nicht
alleine von Friedhöfen in anderer Leute Schlafzimmer“, konterte
Lilian verärgert.
„Es könnte genauso gut ein dunkler
Magier gewesen sein. Die sind genauso unberechenbar. Vielleicht ...“
Martin hielt im Satz inne und wandte sich Emil zu. „Dich
beschäftigt der Ghul, oder?“
„Naja, ich kann ihn ja nicht einmal
sehen“, erwiderte Emil mit trockener Stimme. Es war ein dummes
Gefühl, dass Lilian und Martin beide viel mehr wussten und dann auch
noch das Ding sehen konnten. Nur er war dafür blind.
„Ein Bier auf Ex und du siehst ihn
auch!“ Martin hielt Emil eine Flasche Bier hin. „Alternativ auch
andere alkoholische Getränke.“ Martin klang ermutigend, doch Emil
starrte immer noch misstrauisch die Bierflasche an.
„Wo kommt die denn jetzt her?“,
fragte er mit zusammen gekniffenden Augen.
„Ich dachte, dich würde der Anblick
des Ghuls vielleicht interessieren.“
„Ach egal. Gib her.“ Emil fischte
die Flasche aus Martins Händen und öffnete sie an einer Regalkante.
„Na dann mal Prost.“ Er leerte die Flasche so schnell es möglich
war. Schon während des Trinkens merkte er, wie sein Kopf leicht
schummrig wurde. Doch das konnte genauso gut der Placeboeffekt sein.
Mehrmals musste er absetzen, bevor der letzte Schluck getrunken war.
Dann gab er sie Martin zurück mit der Erklärung: „Hier bitte. 8
Cent Pfand.“
Danach passierte erst einmal überhaupt
nichts mehr.
„Wie lange dauert das jetzt?“,
fragte Emil, der auf den Boden vor sich sah.
„So lange wie es dauert.“ Martin
las gerade den Flaschenrücken. „Oh. Da steht drauf du sollst das
Bier bewusst genießen.“
„Habe ich das nicht getan? Bewusst
zum Selbstzweck genossen.“
Emil hörte Lilian glucksen und sah zu
ihr auf. Ihre versteifte Miene hatte sich gelöst und jetzt lächelte
sie. Es war das Lächeln, was Emil an ihr so schön fand und dass
leider immer dann auf ihrem Gesicht auftauchte, wenn sie eigentlich
über ihn lachte.
„Jetzt will ich auch ein Bier!“
Lilian warf Martin einen Blick zu. „Du hast nicht zufällig noch
mehr mitgebracht? Ich meine, das hier kann noch etwas länger
dauern.“
„Nein. Aber dahinten steht eine
Kiste.“
Es dauerte über 10 Minuten bis Emil
anfing, etwas Verschwommenes auf dem Boden zu erkennen. Der Ghul sah,
abgesehen von seiner deutlich größeren Masse, in etwas so aus, wie
Emil ihn sich vorgestellt hatte, nur seine Haut war nicht
fleischfarben, sondern grau und von einer bräunlichen Schicht
überzogen. Den Kopf konnte Emil nicht richtig erkennen, da er
aufgrund des Genickbruchs merkwürdig abstand. Dieser war im
Verhältnis zum restlichen Körper sehr groß und schien überhaupt
nicht zu den langen Gliedmaßen zu passen. Der Kiefer hing schlaff
herunter und entblößte scharfe Reißzähne.
„Und?“, fragte Lilian, die Emil
interessiert über die Schulter sah. „Was siehst du?“
„Einen Ghul.“ Emil drehte sich zu
ihr um und zuckte erschrocken zusammen. Statt ihrer dunkelblauen
Augen, sahen ihn nun leuchtend grüne an. Er zuckte erschrocken
zusammen. Auch wenn er eigentlich wusste, wie sie als Succubus
aussah, war er in diesem Moment nicht darauf vorbereitet gewesen. Ihr
Haar war pechschwarz geworden und sie sah in seinen Augen noch
attraktiver aus als sonst. Auch wenn das ebenso am Bier liegen
konnte. Genauso hatte sie an dem Abend ausgesehen, als er sie das
erste Mal gesehen hatte.
„Ekelig oder?“, sagte sie und
nickte kurz zu dem Ghul hinüber.
„Nein, sind sie wirklich nicht.“ Er
konnte den Blick einfach nicht von ihren Augen abwenden. Sein Magen
wurde flau und er merkte nicht, wie er sich zu ihr hinüber beugte.
Es war genauso wie damals. Er spürte es, als sich ihre Lippen
berührten, doch diesmal erwiderte sie seinen Kuss.
„Bin schon weg!“, hörte Emil
Martin plötzlich sagen. Emil beendet erschrocken den Kuss und
ignorierte Lilians beleidigtes Gesicht.
„Warte“, rief Emil.
„Ist in Ordnung. Wir seh'n uns doch
morgen wieder.“ Martin hatte bereits das Garagentor geöffnet „Denk
dran. 13 Uhr bei mir.“
„Was? So früh?“, protestierte Emil.
„Was? So früh?“, protestierte Emil.
„Das schaffst du schon.“
„Schaffe ich nicht.“
„Doch! Ich weiß das!“, scherzte
Martin und Emil gab klein bei:
„Okay ... Bis morgen.“
„Bis morgen“, rief auch Lilian aus
Reflex. „Nein, bis irgendwann ... mal ...“ Ihre Stimme verebbte,
als Martin das Garagentor schloss.
„Er hasst mich immer noch, oder?“,
fragte Lilian an Emil gewandt und Enttäuschung schwang in ihrer
Stimme mit.
„Ach Unsinn. Er fühlt sich nur als
fünftes Rad.“
„Er toleriert mich nur, weil ich mit
dir zusammen bin.“
„Wir sind zusammen?“, fragte Emil
in verblüfftem Ton.
Woraufhin Lilian ihn entgeistert ansah,
bevor sie Emils unterdrücktes Grinsen bemerkte.
„Du ...“ Da ihr scheinbar kein
passender Fluch einfiel, küsste sie ihn einfach.
(Macht das mit dem Bierexen nicht
Zuhause nach. Für die Autorin hatte der Selbstversuch schwere
Auswirkungen auf den vorliegenden Text.)
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