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Beherrschung

Das Licht der Kerze erhellte nur schwach die Schwärze hinter den eisernen Gitterstäben. Vorsichtig schob sie die Hand weiter vor, um etwas erkennen zu können. Dann erhellten die Flammen ein Gesicht, dessen Augen nur tiefe Schatten waren. Erschrocken zuckte sie zurück.
Ihr Herz raste in ihrer Brust, doch als sie den Blick ihres Wächters auffing, hob sie gebietend die Hand und wandte sich wieder der Dunkelheit hinter dem Gitter zu.
„Was wollt Ihr?“, fragte Marlene in harschem Ton. Ihre Stimme hallte an den Wänden wider, doch die erwartete Antwort blieb aus. „Warum stört Ihr mich zu so später Stunde noch?“
Erneut folgte Stille, bis ihr plötzlich eine kratzige Stimme aus der Dunkelheit antwortete: „Schickt Eure Wachen weg.“
Der Klang dieser Stimme ließ ihr die Haare zu Berge stehen. Es war wie das Flüstern des Windes vor einem schweren Sturm. Dennoch zögerte sie.
„Schickt...“, wiederholte die Stimme eindringlicher. Dann erschütterte ein Knall die Stille und ließ Marlene spitz aufschreien. Aus der Dunkelheit hatte sich der Mann mit vollem Gewicht gegen das Gitter geworfen und grinste sie nun hämisch an. Mit voller Gelassenheit vollendete er seinen Satz: „...sie weg.“
„Nein“, erwiderte Marlene mit Nachdruck, doch ihre Finger zuckten nervös und sie ballte die Hand zu einer Faust, um es vor ihm zu verbergen. “Jetzt tragt mir endlich Euer Anliegen vor, bevor ich ungeduldig werde.“
„Was gibt es denn wichtiges für Euch zu tun? Ausgeruht haben solltet Ihr Euch doch mittlerweile genug?“
„Schweigt!“, fuhr sie ihn an. Seine Worte waren wie Gift und sie wusste nicht, wie lange sie dem noch standhalten konnte. „Kennt Ihr überhaupt so etwas wie Reue?“
„Ich habe gehört, dafür muss man sich einen Fehler eingestehen.“

Daraufhin beugte sie sich näher zu ihm vor und hielt die Flamme nahe an sein Gesicht und er wich unmerklich ein Stück zurück. „Es war ein Fehler“, zischte sie ihm zu, sodass nur er sie hören konnte. In ihren Augen lag die gleiche Eiseskälte wie in ihrer Stimme. Dann richtete sie sich wieder auf, um ihren Wachen ein Zeichen zu geben, dass sie sich entfernen sollten.
Längere Zeit lauschte sie noch, ob sie außer Reichweite waren, erst dann wandte sie sich dem Mann wieder zu und diesmal überschlug sich ihre Stimme fast, als sie versuchte nicht zu schreien. „Was hast du Drecksschwein mir schon zu sagen?“
„Ich habe das Recht dazu.“
„Nach allem, was du getan hast, wagst du es noch, mich hierher zu ordern?“
„Was habe ich denn deiner Meinung nach getan?“ Er sah fragend zu ihr auf. Seine schwarzen Augen durchbohrten sie und ließen sie am ganzen Körper zittern.
Marlene wollte etwas erwidern, doch ihre trockenen Lippen wollten ihr nicht gehorchen. Einige Augenblicke zog sie nur die kühle Luft des Kerkers ein, dann antwortete sie mit fester Stimme:
„Ich möchte dich nur an die Schmerzen erinnern, die du mir in den letzten Tagen zugefügt hast.“
„Du hast es dir selbst zuzuschreiben.“ Seine Finger schlossen sich fester um das Gitter. „Ich habe dir den leichten Weg gezeigt, doch du wähltest den Schweren.“
„Ich habe nie darum gebeten, überhaupt einen Weg zu haben! Ja, wie kommst du dazu, dir anzumaßen, mir vorzuschreiben, was für Wege ich habe?!“ Nun schrie sie beinahe, doch der Mann erhob nun auch seine Stimme: „Weil ich es besser weiß!“
„Das gibt dir keinen Grund, mich meiner Freiheit zu berauben!“
Er lachte trocken auf. „Es hat dir doch nicht geschadet.“
Ruckartig streckte sie ihm die Arme entgegen, die mit Schürfwunden übersät waren. „Das nennst du nichts? Ich wünschte, was sie morgen mit dir anstellen, wäre nur im entferntesten mit dem hier zu vergleichen!“
Er öffnete die Lippen, um etwas zu entgegnen, doch sie fuhr ihm ins Wort: „Es ist nicht der physische Schmerz.“ Sie packte seine Hände und bohrte ihm die Fingernägel in seine Haut. „Es ist der seelische, den du mir zugefügt hast.“
Doch anstatt sich zu wehren, fing er an zu lachen. „Schon lustig, dass du mich erst weg sperren musst, damit du es mit mir aufnehmen kannst.“
Sie starrte ihn einige Sekunden erstaunt an und versteifte dann ihren Griff. Unter ihren Fingerspitzen begann es zu zischen. Er schrie nicht, doch auf seinem Gesicht spiegelte sich der Schmerz wieder, den sie ihm gerade zufügte.
Der Geruch von verbranntem Fleisch lag in der Luft, als sie ihre Finger von seiner Hand löste und flüsterte:
„Das war nur eine Kostprobe dessen -“ Sie verstumme augenblicklich und versuchte noch ihre Hand wegzuziehen, als er sie schon gepackt hatte. Dunkle, verbrannte Haut umklammerte ihr Handgelenk und ließ sie nicht mehr los.
Die Kerze fiel klirrend zu Boden und erlosch, woraufhin sich eine erdrückende Dunkelheit über sie legte, in der Marlene augenblicklich erstarrte. Ihre Stimme hatte nichts mehr von der vorherigen Stärke, als sie wieder sprach:
„Du wusstest, was dieser Kristall mir antun würde. Und trotzdem. Dir war es egal.“
Sie spürte wie sich sein Griff lockerte und seine Finger zu ihrer Hand hinauf fuhren. „Marlene.“
Ruckartig zog sie ihre Hand weg und umklammerte die Stelle, an der er sie gepackt hatte, mit ihrer anderen Hand. Sie zitterte vor Furcht. „Hör auf damit.“ Marlene schüttelte heftig den Kopf. „Die Zunge sollte man dir rausschneiden für deine Lügen!“
Er zog die Hand zurück und langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Sie sah, wie er mit gesenktem Kopf und unter Schmerzen keuchend, seine Hand in sein Hemd wickelte. „Nicht ich war es, der die Lügen verbreitet hat.“, sagte er mehr zu sich selbst, als zu ihr.
„Wovon redest du?“
„Sie fürchteten deine Macht.“
„Macht.“ Sie schnaubte. „Die hätte ich gehabt, wärest du nicht wieder aufgekreuzt.“
„Nicht die Macht, die du jetzt hast.“ Er blickte zu ihr auf. „Die Macht, die du mit mir an deiner Seite gehabt hast.“
Wutentbrannt warf sie sich vor und packte die Gitterstäbe. „Du stehst zwischen mir und meiner Herrschaft. Das hast du mehr als einmal bewiesen!“
Nur langsam erhob er sich und bäumte sich nach und nach vor ihr auf, sodass ihre Gesichter auf einer Höhe waren. „Deine Ohren sind taub und deine Augen blind.“
„Das reicht nicht, um die Qualen zu vergessen, durch die ich wegen dir gehen musste!“ Ihre Augen funkelten bedrohlich. „Du wirst für deine Verbrechen bezahlen.“
Die Finger seiner unverletzten Hand legte sich ganz nahe ihrer eigenen um die Gitterstäbe und mit ruhiger Stimme antwortete er ihr: „Ich fürchte, da warten noch ganz andere Qualen auf dich, wenn du erst Königin geworden bist.“
„Du zweifelst an mir?“
„Ich zweifele an deinem Verstand.“
„Was weißt du schon? Du bist derjenige, der hinter Gittern sitzt.“
„Aber nicht mehr lange.“
„Weil du morgen am Galgen baumeln wirst!“
„Eine Schande, dass ich nicht mehr miterlebe, wie sie eine Hexe zur Königin krönen...“
„Wage es noch einmal!“ Sie streckte ihm bedrohlich den Finger hin, doch er ließ sich nicht beirren.
„Glaubst du wirklich, dass sie dich gewähren lassen?“
„Warum sollten sie es nicht tun?“, fragte sie herausfordernd. Dann fing sie seinen Blick auf, wie er sie erstaunt ansah:
„Sie wissen es nicht...“
„Was wissen sie nicht?“, blaffte sie zurück, doch ihre Unsicherheit war deutlich zu spüren. 
„Meine Liebe.“ Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Du hast mir gerade mehr in die Hand gegeben, als ich es mir erhofft hatte.“
„Du verdammter Mistkerl!“, schrie sie verzweifelt auf und schlug mit den Fäusten gegen das Gitter. „Ich werde dir noch das Maul stopfen!“
„Nichts wirst du!“ Er fing lauthals an zu lachen. „Gar nichts wirst du, Hexe!“
„Ich brenn' dir deinen Kehlkopf raus, Arschloch!“
„Früher oder später kriegen sie dich auch so!“
„Sei ruhig! Sei einfach ruhig!“
Lange hallten ihre Schreie in der Stille nach. Dann vernahm sie plötzlich schnelle Schritte. Erschrocken wandte sie sich um und erblickte ein Licht, dass sich schnell in ihre Richtung bewegte. Es ging alles so schnell, dass sie sich gerade noch fassen konnte, als ihre Wachen bereits vor ihr standen.
„Ist alles in Ordnung, Prinzessin?“, fragte einer der beiden und blendete sie mit dem Licht einer Fackel.
Ein schwaches „Ja“ war das Einzige, was sie herausbrachte, bevor sie sich schlagartig zu dem Gefangen umdrehte. Doch dieser war in der Dunkelheit verschwunden. Nach einer kurzen Schrecksekunde, fuhr sie sich genervt über die Lippen und sprach dann mit der gewohnten Überheblichkeit zu ihm:
„Warum rieft Ihr mich nun zu Euch?“
Und erneut antwortete ihr die ruhige Stimme aus der Dunkelheit. „Der Verstand lässt uns planen, das Gefühl lässt uns handeln. Das solltet Ihr doch jetzt begriffen haben.“

Ihr Atem wurde mit einem Mal schwer und sie starrte wie gebannt in die Schwärze hinein. Dann wandte sie sich abrupt ab. „Er soll heute Abend kein Wasser mehr bekommen!“, befahl sie den Wachen und verschwand in der Finsternis des Ganges. Sie drehte sich nicht mehr um, während die Tränen unaufhaltsam über ihr Gesicht rannen.

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